Bericht vom Workshop „Ansätze und Methoden zur Erforschung politischer Ideen“ im Juli 2010 in Hamburg

Organisiert von Andreas Busen (Uni Hamburg), Alexander Weiß (Uni Hamburg) und Stefan Skupien (FU Berlin) fand am 16. und 17. Juli am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg eine Zusammenkunft von etwa 50 Nachwuchswissenschaftlern statt. Der Workshop Ansätze und Methoden zur Erforschung politischer Ideen brachte, so das einhellige Urteil, durch vielfältigen Gedankenaustausch eine intensive Gegenwärtigkeit derjenigen Fragestellungen hervor, die jeden Forschenden im Bereich der Theorie und Ideengeschichte betreffen (hier eine erste gebloggte Reaktion auf die Tagung). Dadurch, dass der explizit interdisziplinär geöffnete Workshop von Anfang an darauf angelegt war, die Beiträge aus den eigenen Forschungserfahrungen hervorgehen zu lassen, war eine wesentliche Voraussetzung für einen lebhaften, aus konkreter `Betroffenheit´ gespeisten Austausch der Teilnehmer geschaffen. Von der Sterilität und Lebensferne mancher politikwissenschaftlicher Lehrbuchkapitel zum Thema Methoden war hier nichts zu spüren.

Neben den, abseits von und kreuz und quer zu den methodischen Dauerbrennern Cambridge School, Diskursanalyse und Begriffsgeschichte ging es um „Tigersprünge ins Vergangene“, also um Metaphern nicht nur in der Theorie, sondern auch im Gebrauch, es ging um das angemessene Verhältnis von Texten und Kon-Texten, um die gegenseitige Beeinflussung von Methoden und Forschungsgegenständer; es ging um die Frage der Grenze zwischen Forschung und Intervention, um konformistische Orthodoxie und Sicherheit, um innovative Eigenständigkeit und Geltungsangst. Es ist nötig, durch diese Vielfalt einen – notwendigerweise selektiven – roten Faden zu legen. Ich lasse diesen mit dem Einleitungsvortrag beginnen und verlasse dann die chronologische Struktur des Workshops.

In ihrem Eröffnungsvortrag stellten Andreas Busen und Alexander Weiß eine eigene Studie zum Untersuchungsgegenstand Theorie und Ideengeschichte in Lehr- und Einführungsbüchern der Politikwissenschaft vor. Sie bildeten eine aufschlussreiche Typologie von vier verschiedenen Reflexionsgraden und stellten fest, dass die Mehrzahl der Werke einen ersten, „naiven“, methodisch kaum reflektierenden Zugang pflege, rein deskriptiv und mit der Hintergrundvorstellung einer kanonischen Zusammenstellung operiere. Der zweite Typus reflektiere zwar schon seinen eigenen Standpunkt, nehme ihn aber nicht als einen möglichen unter anderen wahr. Der Methodenpluralismus werde damit zwar immerhin schon anerkannt, jedoch bloß in diffuser Weise als Reservoir an Möglichkeiten dargestellt, aus dem man sich bedienen könne. Das eigene wissenschaftliche Handeln bleibe jedoch isoliert, da kein Bezug zu anderen Autoren, Schulen etc. genommen werde. Einen solchen Blick nach außen beinhalte das wissenschaftliche Vorgehen des dritten Typus, der schon relativ selten anzutreffen sei: Hier finde sich eine Offenlegung der eigenen Positionierung zu anderen Ansätzen. Dennoch sei auch dieser Typus durch eine starke Willkürlichkeit geprägt – die Bezugnahmen erschienen hier als eine ritualisierte Absicherung. Über ein solches methodologisch unterfüttertes namedropping hinaus könne der vierte Typus gehen – doch der fehle in der untersuchten Stichprobe, bliebe unerfüllter Anspruch. Was hier über Methodenpluralismus und die Konstellationen der verschiedenen Ansätze untereinander hinaus reflektiert werden müsse, sei das Verantwortungsbewusstsein um die Konsequenzen der Entscheidung zwischen Methoden. Eine Verantwortung gehe jeder Wissenschaftler ein, der sich im Methodenpluralismus positioniere, denn die Entscheidung für oder gegen einen Ansatz habe als schöpferischer Handlungsakt nicht nur Auswirkungen auf die Qualität der Forschungsergebnisse, sondern greife in die „Sphärenstruktur“ des Methodenpluralismus direkt ein: Methodenpluralismus sei schließlich kein propositionales Nebeneinander von auch bei ihrer Anwendung unveränderlichen Ausleihgegenständen. Vielmehr handele es sich um eine agonale Wettbewerbskonstellation, die von verschiedenen in ihrer Stärke ständig fluktuierenden Methoden gebildet werde. Über Aufstieg oder Bedeutungslosigkeit könnten diejenigen verfügen, die sich für oder gegen eine Methode entschieden, und zwar nicht nur dadurch, dass, sondern auch dadurch, wie: mit welchen programmatischen Hervorhebungen und abgrenzenden Diskreditierungen von Alternativen. Dieses Bewusstsein um die Konsequenzen einer Entscheidungshandlung des Forschers auf die agonale Raumstruktur eines Wettbewerbs, so die Referenten, zeichne das höchste Reflexionsniveau im Umgang mit politikwissenschaftlichen Methoden der Theorie- und Ideengeschichte aus.

Das Motiv der Verantwortung zog sich auch durch die Beiträge von Holger Zapf (Uni Göttingen), der in seinem Vortrag zur transkulturellen politischen Theorie feststellte, politische Theorien hätten eine Wirkung als „intellektuelle Interventionen“, und von Robert Feustel (Uni Leipzig), der herausstellte, dass reine Beobachtung in der Wissenschaft nicht möglich sei. Auch David Egner (Uni Köln) und Ulf Bohmann (Uni Jena) hoben in ihren Vorträgen zur Begriffssoziologie Carl Schmitts und zur genealogischen Methode Charles Taylors die Interventionskomponente von theoretischen Texten hervor.

Wenn ein neuer Forschungsgegenstand eine Methode fordert, sie aber aus sich heraus nicht determiniert, dann müssen Forschende unbekanntes Terrain betreten und sich letztendlich für eine oder mehrere Methoden entscheiden. Rieke Schäfer (Uni Hamburg) schilderte ihre Pioniererfahrungen in ihrem Vortrag zur Rolle von Metaphern beim Wandel politischer Begriffe. Das aus einem Wettstreit von Geltungsansprüchen hervorgehende Potential zum Bedeutungswandel von Metaphern verlange letztendlich von Forschenden, zu den Geltungsansprüchen Stellung zu nehmen, wofür es bekanntermaßen keine unumstrittene Methode gebe. Eine andere Art von Methodenentscheidung, die Veränderung einer Methode, stellte Oliver Eberl (Uni Darmstadt) mit seinem Vorschlag einer „Begriffsgeschichte ohne Schmitt“ vor – er problematisierte am Beispiel des Begriffs der Barbarei das Fortwirken des Freund-Feind-Schemas im Koselleckschen Konzept der Gegenbegriffe. Jörn Knobloch (Uni Potsdam) stellte mit seiner Zusammenführung von organisationswissenschaftlicher Praxeologie und ethnologisch arbeitender Kulturforschung eine interdisziplinäre Methodenveränderung durch Kombination vor, ein Weg, der auch bei dem von Jörg Probst (Uni Marburg) präsentierten interdisziplinären Forschungsprogramm einer Projektgruppe von Politikwissenschaftlern und Kunsthistorikern im Bereich der ideengeschichtlichen Bildforschung beschritten wurde. Ein weiteres Beispiel für disziplinenübergreifendes Vorgehen lieferte Daniel Gaus (ARENA, Oslo). Er führte die Konstruktion eines dreidimensionalen Staatsbegriffs aus der interdisziplinären Trias der normativen Rechtstheorie Hans Kelsens, der Soziologie Max Webers und der Ideengeschichte Quentin Skinners vor. Der Vortrag zum `horror vacui´ des Thomas Hobbes und zum `leeren Land´ bei John Locke, den Francesca Falk (Uni Basel) hielt, arbeitete mit der Methode der Verknüpfung von textimmanenter Bedeutungserschließung, Bildinterpretation – in diesem Fall des Frontispizes der 1642er Ausgabe von De Cive – und weltwirtschaftlichen Theorien der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Internationalen Beziehungen.

Mit der allseits geteilten Überzeugung, dass Methodenmodifikationen – oder wie es derjenige nennen würde, der es doch so sieht: methodische Unsauberkeiten – kein Sakrileg sein müssen, rücken ein paar Begriffe in unmittelbar greifbare Nähe, die zum Teil während der Tagung selbst fielen, sich zum Teil aufdrängen: Cambridgezentrismus, Modemethode, Orthodoxie und Dogma. Gegen die hegemoniale Stellung der Methode der Cambridge School bezog Daniel Kuchler (Rockefeller College, New York) Stellung mit seinem – wenngleich in der Diskussion umstrittenen – Vorschlag, die Texte im Vergleich zu ihren Kontexten stärker zu gewichten. Schon am Beginn des Workshops war die Cambridge School in den Vorträgen von Jens Olesen (Uni Oxford) und Katharina Schneider (Uni Zürich) nicht ohne Blessuren weggekommen. Auch Johannes Thumfart (FU Berlin) verwies auf nicht eingehaltene programmatische Versprechungen. Den Schritt von möglicherweise falschen Gewissheiten und trügerischen Anfangssicherheiten durch den Umgang mit der Materie im Sinne der Cambridge School hin zu Sicherheiten im generellen Zusammenhang mit der Thematik wissenschaftlicher Methoden vollzog Veith Selk (Uni Hamburg), dessen Vortrag zu Angst und Methode mehrere Dimensionen angstbesetzter Themen in der Wissenschaft – vom Forschungsobjekt bis zum Subjekt, z.B. dem von Karriereängsten geplagten Nachwuchswissenschaftler – berührte. Methodisches Vorgehen habe für die Forschenden – auch – eine beruhigende Absicherungsfunktion, die aber in ihrer exzessiven Spielart zu innovationshemmendem Konformismus und damit zur Zementierung von Hierarchien und Orthodoxien führen könnte.

Eine ganz andere Richtung im Kampf gegen Dogmen besteht darin, sichtbar zu machen, was durch ein Dogma unsichtbar gemacht wird. Auf die Suche nach solchen Fehlstellen machte sich Stefan Skupien (FU Berlin), indem er die Frage nach der Wahrnehmbarkeit von nichteuropäischen politischen Theorien stellte. Er forderte, die „Fallstricke des Eurozentrismus“ zu meiden und verwies mit dem Übersetzungsproblem auf die viel weiterreichende Frage, ob Verstehen überhaupt möglich sein könne. Schließlich sei die Methode der Cambridge School elitenzentriert und vernachlässige subalterne Sprecher. Auch Holger Zapf (Uni Göttingen) reflektierte die Gefahr der Hegemonie westlichen Denkens – nicht jedoch ohne auf die Gefahr apologetischer Einstellungen im anderen Extrem hinzuweisen. Angela Marciniak (TU Darmstadt) erläuterte die Ausblendungsproblematik der Begriffsgeschichte, indem sie diese mit der leistungsfähigeren Methode der Untersuchung semantischer Felder kontrastierte.

Eine ganz besondere Variante der Sichtbarmachung könnte man Doppelperspektivität nennen, aber Maike Weißpflug (RWTH Aachen) hat schon die von Walter Benjamin entliehene Metapher des „Tigersprungs ins Vergangene“ als ungleich intensiveres Bild für ihren Vorschlag einer kritischen Ideengeschichte ins Spiel gebracht. Je größer die historische (Sprung)-Distanz, desto größer die Chance, in einem Text ein kritisches Potential ausfindig zu machen, das in der Gegenwart in kritischer Absicht eingesetzt werden könne. Reflektierte Verantwortung in einer gänzlich anderen Dimension stellte Ulrike Höppner (FU Berlin) vor, die in ihrem Vortrag das von ihr initiierte Projekt der Erstellung eines Theoriewikis durch Studierende der Politikwissenschaft erläuterte. Zwar sei eine Erfahrung gewesen, dass die Veröffentlichungsperspektive für Unsicherheit und Zweifel bei den Studierenden gesorgt hätte, doch im Laufe der Zeit sei das Selbstbewusstsein gestiegen. So kann festgestellt werden: Ein wenig Zweifel und Unwohlsein sind ein moderater Preis für rechtzeitig praktizierte Verantwortung, denn – so Jörn Knobloch (Uni Potsdam) in seiner Darstellung der praxeologischen Sichtweise auf die Wissenschaft – das Wissen und die Erfahrungen der Menschen sind in ihren Handlungen immer enthalten. Im besten Fall auch das Verantwortungsgefühl.

Harald Teßmer promoviert am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg über Demokratietheorie im europäischen Kontext jenseits des Staates.

6 Kommentare zu “Bericht vom Workshop „Ansätze und Methoden zur Erforschung politischer Ideen“ im Juli 2010 in Hamburg

  1. Pingback: Is that yoga?
  2. Danke für den Bericht. Ich fand den Workshop auch sehr gelungen. Danke also auch an die Organisatoren. Und nur der Form halber – ich bin an der FU, nicht der HU.

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