„Der Name des Philosophen Charles Taylor ist eigentlich ein Garant für Aufmerksamkeit und volle Hörsäle….“ Janina und Wulf mit einem Bericht über Charles Taylor’s Vortrag in der Vortragsreihe „Und jetzt – Richtungen der Zukunft“, die von der Humboldt-Universität zu Berlin und der Siemens Stiftung veranstaltet wird.
Der Name des Philosophen Charles Taylor ist eigentlich ein Garant für Aufmerksamkeit und volle Hörsäle, umso erstaunlicher daher, dass der Kinosaal der Humboldt-Universität Berlin am 26. Mai nur zu drei Vierteln gefüllt war. Möglicherweise war dieser Umstand auch der äußerst spärlichen Werbung für das Ereignis geschuldet. Immerhin, zumindest die Presse zeigte sich ungewöhnlich interessiert und war mit gleich mehreren Kameras zugegen.
„Two Directions for Secular Societies“ lautete der Titel von Taylors Vortrag, in dem er zwei Modelle der Neutralitätsverpflichtung des Staates gegeneinander in Stellung brachte, das control model und das diversity model. Ziel des ersteren sei es, analog zu einem französischen oder gar türkischen Laizismus diese Neutralität unter allen Umständen zu wahren und religiöse bzw. weltanschauliche Fragen strikt in die Sphäre des Privaten zu verweisen. Apodiktische Kopftuch- und Verhüllungsverbote fielen in die Kategorie des control model, so Taylor, dessen vermeintliche Neutralität er in der Folge denn auch in Frage stellte.
Demgegenüber positionierte er das Modell eines Diversitätsmanagements, das auf Anerkennung, Dialog und Vermittlung setzt, anstatt die Debatte selbst im Sinne eines Säkularismus ideologisch aufzuladen, wie es dem control model eigen sei. Die These, die Taylors diversity model dabei zugrunde liegt, ist weder neu noch unbestritten: dass es möglich ist, einen weltanschaulichen Diskurs innerhalb einer Gesellschaft nicht allein auf dem Boden der Rawlsschen öffentlichen Vernunft zu führen, sondern auch in den Worten und mit den Argumenten der jeweiligen Weltanschauung.
Zur Lösung von Konflikten im Umgang mit weltanschaulichen Positionen listete Taylor drei Prinzipien auf, denen eine säkulare Gesellschaft genügen muss:
1. Gewissensfreiheit („freedom of conscience“)
2. Gleichheit der Bürger („equality between citizens“)
3. Jede Stimme muss gehört werden („each voice has to be heard“)
Diese Prinzipien stellten seiner Aussage nach die Begründungsquellen dar, vor deren Hintergrund eine bestimmte Haltung des Staates gerechtfertigt werden können muss. Ihnen ordnete er – wie er selbst zugab, ein wenig plakativ – die Grundsätze der französischen Revolution zu: Liberté, Egalité, Fraternité. Er ist davon überzeugt, dass sein Diversitätsmodell ihnen weitaus besser gerecht werden kann als das konkurrierende Kontrollmodell. Um diese These zu belegen, führte er das Beispiel des Kopftuchverbots ins Feld: Während hier offensichtlich ein Dilemma zwischen dem ersten und dem zweiten Prinzip (hier verstanden als Prinzip der Neutralität des Staates) bestehe, das sich nur im Dialog und unter Berufung auf das dritte Prinzip (als entschärfte Habermassche Diskurssituation) lösen lasse, behaupte die laizistische Variante, dass es sich hierbei lediglich um das eindimensionale Problem der richtigen Anwendung von Prinzip Nr. 2, mithin der Neutralität des Staates, handele.
So verstanden ließen sich die drei Prinzipien auf ein einziges reduzieren, Normenkollisionen zwischen ihnen wären reine Anwendungsfälle des zweiten Prinzips. Einer solchen liberalen Neutralitätsthese hält Taylor entgegen, dass insbesondere das erste Prinzip nicht nur als passive Nichteinmischung und strikte Gleichbehandlung seitens des Staates verstanden werden dürfe und so im Sinne einer individuellen Religionsfreiheit als Spezialfall des zweiten Prinzips angesehen werden könne. Vielmehr müsse – wie es das diversity model vorsieht – das Prinzip der Gewissensfreiheit in Verbindung mit dem Prinzip der deliberativen Partizipation zu einem echten Dialog jenseits streng liberaler Öffentlichkeitsbedingungen führen.
Aber auch wenn Taylor an anderer Stelle bejaht, dass ein Wertediskurs zwischen Weltanschauungen auf intersubjektiv zugänglicher Basis möglich ist, er für den Fall seines Nicht-Gelingens sogar eine „extraphilosophical darkness“ im Nachdenken über das Ethische prognostiziert, gibt er sich zurückhaltend, was seine Einschätzung für Europa angeht. Es könne sein, so Taylor, dass aufgrund einer völlig unterschiedlichen Einwanderungs- und Integrationspolitik (bzw. vor allem deren Fehlen in Europa) das Diversitätsmodell zwar aus kanadischer und US-amerikanischer Sicht die bessere Alternative sei, in Europa aber eine große Angst vor Überfremdung herrsche, die dem Laizismus des Kontrollmodells das Wort rede. Konflikte wie die in den Pariser Vorstädten seien beispielsweise in Quebec undenkbar.
Einlenkend antwortete Taylor schließlich auf die Frage von Rolf-Peter Horstmann, ob es statt der Gegenüberstellung der beiden Modelle nicht sinnvoller sei, das Kontrollmodell als nicht-idealen Extremfall des Diversitätsmodells zu beschreiben. Taylor bejahte diese Strategie grundsätzlich, erwiderte aber, dass die Gegensätzlichkeit der beiden Modelle keineswegs von ihm willkürlich so gesetzt sei, sondern der Dichotomie der Positionen in der politischen Realität geschuldet und höchstens von ihm theoriebildend zugespitzt worden sei.
Selbst wenn also Taylors Thesen weder sonderlich überraschend noch gänzlich unbekannt erschienen, war der Vortrag in unseren Augen ausnehmend gut angelegte Zeit. Verwundern konnte dabei ein wenig die rhetorische Nähe zu liberalen Positionen, selbst unter der Prämisse, dass Taylor gemeinhin als „gemäßigter Kommunitarist“ gilt. Darauf angesprochen bemerkte er, dass sich die Differenzen, wie sie noch mit „the early Rawls and Habermas“ bestanden, tatsächlich deutlich verringert hätten. Dies liege aber zum großen Teil an den Korrekturen, die die liberale Theorie als Reaktion auf die Kritik vorgenommen habe, eine Einschätzung, die mit Sicherheit als Indiz für die Richtung der gesamten Debatte gesehen werden kann.
Janina Sombetzki hat Philosophie und germanistische Linguistik studiert. Sie promoviert gerade im Rahmen des Graduiertenkollegs „Verfassung jenseits des Staates“ zum Konzept einer Verantwortungspolitik in kritischer Auseinandersetzung mit Hannah Arendt.
Wulf Loh hat Philosophie, Politikwissenschaft und Völker-/Europarecht studiert. Zurzeit promoviert er als Stipendiat des Graduiertenkollegs „Verfassung jenseits des Staates“ über John Rawls‘ „Recht der Völker“.
ein Interview der FR http://bit.ly/bEu9cY
Danke für den Hinweis, werde es gleich auch mal „twittern“…
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