Presseschau 02/2010

In unserer Rubrik „Presseschau“ möchte ich heute eine Reihe weiterer Journals vorstellen und kurz auf einige interessante Debatten hinweisen. Ich würde mich sehr freuen, wenn die eine oder der andere von euch im Kommentar ergänzt oder erweitert.

Human Rights Quarterly

So eben ist die neue Ausgabe von Human Rights Quarterly erschienen, das dieses Mal eine ganz Reihe lesenwerter Aufsätze beinhaltet. Marie-Bénédicte Demour unterscheidet in ihrem sehr sortierten Aufsatz „What are Human Rights“ vier verschiedene Schulen – die natural, deliberative, protest und discourse scholars – und arbeitet heraus, inwiefern diese Schulen sich zu Fragen nach Universalität, Verwirklichung, Verrechtlichung etc. verhalten. (Gerade als Lektürgrundlage für Seminare zum Thema „Politik und Menschenrechte“ extrem geeignet!) In derselben Ausgabe argumentiert Amitai Etzioni – in für mich zugegebenermaßen nicht überzeugender Weise –, dass die Normativität von Menschenrechten selbstevident sei und keiner Begründung benötige. Multikulturalismus ist das Thema von Alexandra Xanthaki. Stiefmütterlich vom Internationalen Recht vernachlässigt, arbeitet Xanthaki heraus, dass wesentliche Merkmale der Idee des Multikulturalismus bereits als rechtliche Standards den Vereinten Nationen und ihren Institutionen  zugrunde liegen.

The Review of Politics

Einst von Waldemar Gurian ins Leben gerufen gab es in der letzten Ausgabe der Review of Politics eine kleine Debatte darüber, was vergleichende politische Theorie ist. Im Kern geht es dabei darum, ob es eine Subdisziplin „Vergleichende Politische Theorie“ geben und welchen Stellenwert „the study of non-western text“ darin spielen soll. Während Andrew March sich gegen eine solche Subdisziplin ausspricht und die Politische Theorie dazu aufruft, ihr methodisches Handwerkszeug zu überdenken und herauszuarbeiten, warum Autoren und Schriften jenseits des Westen so einen geringen Stellenwert einnehmen, ist Farah Godrej besorgt, dass „March’s arguments will reinforce the substantively and methodologically Eurocentric focus of political theory.“

Philosophy of Social Sciences

Einen extrem lesenswerten und gut geschriebenen Artikel findet man in der brandneuen Ausgabe von Philosophy of Social Sciences. Geschrieben wurde dieser Artikel von Brian Epstein. Epstein beschäftigt sich darin mit der Frage, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Kritik an Begriffen formuliert wird und etwas als „falsch“ zurückgewiesen werden kann. Indem sein neuer Ansatz das kritische Potential von Geschichte aufzeigt, versucht Epstein die Genealogie als Methode weiter zu spezifizieren.

Philosophy and Rhetoric

In der neusten Ausgaben der Zeitschrift lädt Romain Laufer zu einer Reise durch Geistesgeschichte ein. Er tut dies anhand des Begriffs der Rhetorik. Auf intellektuell höchst anregende Weise zeigt Laufer nicht nur das Zusammenspiel von Rhetorik und Philosophie in den Debatten der griechischen Antike auf, sondern gewährt Einblick in die verschlungenen Pfade französisch-amerikanischer Geistesgeschichte. In meinen Augen ein richtig schöner und gedankenreicher Aufsatz für den Lesesessel oder das Café.

Philosophy and Social Criticism

Für all diejenigen unter euch, die an Fragen rund um das Thema „Constitutionalism“ interessiert sind, findet sich mit Todd Hedricks Abhandlung über Rawls und Habermas spannender Stoff zum Diskutieren. Hedrick geht davon aus, dass Rawls – im Gegensatz zu Habermas – nur sehr unzureichend für die postmetaphysische Demokratie geeignet ist. Zwar setzen beide auf die Verfassung positiver, öffentlicher Referenzpunkt für demokratische Partizipation, aber mit Meinungsverschiedenheit über den Inhalt von verfassungsmäßigen Rechten könne Habermas besser umgehen. Philosophy and Social Criticism bietet aber dieses Mal auch was, für alle ideengeschichtlich Interessierten. Carlo Altini richtet die Geschichte modernen politischen Denkens an ihrem Verhältnis zu den Begriffen der potentia und potestas aus. Für diejenigen unter euch, die sich auf die kommenden Tagungen der Theorie-Sektion zum Machbegriff in Erfurt und Augsburg vorbereiten wollen, sicherlich ein empfehlenswerter Anfang.

2 Kommentare zu “Presseschau 02/2010

  1. Schöne Rubrik, der Perlentaucher für die politische Theorie.

    Ich habe beim (Quer-)Lesen der gerade frischen Constellations (1/2010) mitgeschrieben. – Die Nummer ist im Ganzen lesenswert und wartet mit gleich drei interessanten Heftthemen auf: (1) Fallstricke der Säkularisierung, (2) die Systemkrise im Iran nach den Präsidentschaftswahlen 2009 und (3) Traditionslinien Kritischer Theorie.

    (1) Nadia Urbinati wirft am Beispiel Italiens einige Argumente gegen Jürgen Habermas Konzeption einer post-säkularen Öffentlichkeit in den Raum. Seine über Rawls hinausreichende optimistische Position, religiöse Argumente im öffentlichen Diskurs weitreichend zulassen zu können, sei nicht gefahrlos auf mono-religiös geprägte Demokratien anzuwenden. Gerade Gesellschaften ohne religöse Pluralität, wie Urbinati am Beispiel Italien zeigt, liefen so Gefahr, antiliberal zu werden. Urbinati nennt das Phänomen ‚umgekehrte Laizität‘, die sich zwar de jure religiös indifferent verhält, de facto aber religiösen Majoritäten wieder eine hegemomiale Position im öffentlichen Raum verschaffe. Eine „Laicité Italian style“, stelle damit nichts weiter als eine post-säkulare Adaption der alten Formel ‚cuius regio, eius religio‘ dar.

    (2) Fünf vielversprechend aussehende Artikel widmen sich den politischen Ereignissen im Iran nach den Wahlen im vergangenen Jahr: zum einen mit der Krise des politischen Systems (Ramin Jahanbegloo, Shahram Kholdi), zum anderen mit der Demokratiebewegung (Nader Hashemi, Interview mit dem iranischen Politologen Hossein Bashiriyeh, Victoria Tahmasebi-Birgani).

    (3) Dann werden noch einige Traditionslinien der Kritischen Theorie beobachtet. John Abromeit verteidigt Herbert Marcuses phänomenologisch inspirierten Marxismus gegen das in jüngeren Diskussionen wieder aufgegriffene Urteil, Marcuse sei im Grunde stets Heideggerianer geblieben. / „There is no way out of entanglement…“: Matt Waggoner liest noch einmal die ‚Minima Moralia‘, auf den Spuren universalistischer Implikationen in Adornos Reflexionen auf subjektives Leiden. / Jonathan Havercroft beschäftgt sich mit der linken Spinoza-Rezeption und nimmt dabei v.a. die Multitude-Konzeption von Negri/Hardt kritisch unter die Lupe. (Das neue Werk der beiden, ‚Common Wealth‘, ist gerade auf deutsch erschienen, eine Leseprobe gibt es hier: http://www.perlentaucher.de/artikel/6014.html). / Alexandros Kioupkiolis beschäftigt sich mit radikaldemokratischen Theorien (Laclau/Mouffe, Unger und wieder Hardt/Negri).

    Auch ein Blick in die Rezensionsessays und Einzelrezensionen lohnt sich: Richard J. Bernstein liest Habermas‘ ‚Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze‘, (2008 in engl. Übersetzung erschienen); Shannon K. Brincat vergleicht mit Robert B. Pippin und Axel Honneth zwei Theoriebildungen im Anschluss an Adorno. In den Einzelbesprechungen Jacques Rancière, Hatred of Democracy, (2007, frz. La haine de la démocratie, 2005) und Zygmunt Bauman, Does Ethics have a Chance in a World of Consumers? (2008).

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