Verschlingt der Föderalismus seine Kinder? Zur Gegenwart der US-Verfassung

Wer in der liberalen Echokammer – im persönlichen Twitterfeed oder in entsprechenden Blogs – verkehrt, kann die Auszählung der noch ausstehenden US-Wahlzettel fast in Echtzeit verfolgen: Bei 2,7 Millionen Vorsprung ist Hillary Clinton angelangt, keine Lappalie bei rund 124 Millionen abgegebener Wahlzettel. Hinter dieser Fixierung auf die Gesamtzahl der Stimmen steht nicht allein beleidigtes Verlierertum der Demokraten – oder der Wunsch, die kommenden vier Jahre trotzig unter dem Slogan „Nicht mein Präsident!“ durchzuprotestieren.

Denn so funktioniert nun einmal das föderale Wahlsystem, und auf diese Institution zielt dann auch die Kritik ab: Die Präsidentenkür durch Wahlmänner der Bundesstaaten beinhalte demokratietheoretisch kaum tragbare Verzerrungen, weil sie die Bürgerinnen und Bürger in drastisch unterschiedliche Machtpositionen versetzt. In den vergangenen Jahrzehnten oblag die Entscheidung darüber, wer Präsident wird, allein den Wählern in geographisch relativ konstant bleibenden Swing States. Seit der Verfassungsratifikation 1788 in Stein gemeißelt ist aber ein weiterer Verzerrungseffekt: kleine Staaten sind in der Anzahl der Wahlmänner stets im Vorteil, sehr große Staaten im Nachteil. Zwar gilt „one person, one vote“ – doch die Stimmen selbst haben unterschiedliches Gewicht. Fällt die Entscheidung mit der Stimmenmehrheit zusammen, erscheint dies unproblematisch, doch nun siegt zum vierten Male seit Gründung der Republik ein Kandidat, ohne die meisten Stimmen zu erhalten. (mehr …)

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DAAD-Dozenten in Nordamerika

Der DAAD hat ein Dozentenprogramm für Nordamerika, wo dieses Jahr auch wieder zwei Gastprofessuren in der Politikwissenschaft ausgeschrieben sind. Die eine ist in Cornell, die andere an der Georgetown University in Washington. Die Aufenthalte sollen im Hochschuljahr 2015/16 beginnen und können 2 bis 5 Jahre gehen. Die Ausschreibungen findet ihr hier als PDF. Alle weiteren Informationen zum Programm des DAAD in Nordamerika hier. Bewerbungsschluss ist der 02. November.

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Fassaden der Gerechtigkeit? Macht und Gewalt in der US-Philosophie

Dass die philosophische Disziplin – inklusive der Moralphilosophie – ihren abstrakten ethischen Imperativen in der Realität oft ebenso wenig gerecht wird wie den Antidiskriminierungsgeboten zeitgemäßer Arbeitsumfelder, ist nicht neu: Für den in solchen Belangen ja angeblich sogar aufgeklärteren US-amerikanischen Raum dokumentieren und diskutieren seit Jahren Blogs wie Feminist Philosophers und What is it like to be a woman in philosophy Missstände unterschiedlichen – manchmal altvertrauten, aber oft erschreckenden – Ausmaßes. Obwohl diese Mängel eine Reihe von Minderheiten betreffen, haben feministische AktivistInnen hier eine Wortführerrolle für unfair behandelte Gruppen übernommen: Es scheint nämlich , als würden gerade im Geschlechterverhältnis immer wieder eklatante Verletzungen von individueller Würde, basaler Berufsethik – aber durchaus auch der bestehenden Gesetzeslage zu sexueller Gewalt begangen werden. Die Täterschaft von Männern in etablierten Machtpositionen ist dabei eine Konstante; und Wissenschaftlerinnen in direkten und indirekten Abhängigkeitsverhältnissen werden immer wieder zur leicht verfügbaren Zielscheibe.

Soweit ist das jenseits wie diesseits des Atlantiks nichts Neues; (mehr …)

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Ein weites Feld? Theorie in Tennessee

Politische Theorie im deutschsprachigen Raum und Political Theory in den USA sind recht ungleiche Geschwister: Institutionelle Verankerungen, Karrierewege und auch inhaltliche Ausrichtungen folgen verknüpften, aber unterschiedlichen Formen und Traditionen. Gewissermaßen als Selbstbetrachtung aus der Ferne habe ich einige Impressionen von einer Tagung in Nashville – ein Wochenende lang „Theory City“ statt „Music City“ – notiert: Kein inhaltlicher Tagungsbericht also, sondern stichprobenartige Eindrücke von einem amerikanischen Konferenzformat. (mehr …)

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Lesenotiz: Neues von alten Imperien

Kolonialen Strukturen und ihren Verwerfungen nähert sich die Politische Theorie und Ideengeschichte seit rund einem Jahrzehnt nicht nur von den Postcolonial Studies aus, sondern auch von Seiten der Imperientheorie.  Die Fragestellungen jener, von Historikern wie Politikwissenschaftlern unternommenen, Versuche der Theoriebildung sind dabei grundlegend andere als die der postkolonialen Ansätze: Makrostrukturen und -dynamiken imperialer Ordnungen, Herrschaftslogiken , Formen der Machtdurchsetzung und Gründe für den rise, decline and fall großer Reiche stehen im Vordergrund, verallgemeinernd gesprochen, genuin politikwissenschaftliche und nicht so sehr soziologische oder kulturgeschichtliche Fragestellungen.  Für Politiktheoretiker, die sich für die Verknüpfung von Geschichtsanalyse und Theoriebildung im Hinblick auf Imperien interessieren, gibt es nun mit „Empires in World History“ aus der Feder zweier US-Historiker eine neue Einführung in die Materie, die versucht, den Nutzen und die Plausibilität des Imperienkonzepts direkt anhand des geschichtlichen Gegenstands zu demonstrieren, und dabei trotz ihres Einführungscharakters (keine Fußnoten!) durchaus theoretisch auf der Höhe der Zeit ist. (mehr …)

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Appell von Juristen und Philosophen gegen die Haftbedingungen von Bradley Manning

Bradley Manning wird vorgeworfen, geheime US-Dokumente an Wikileaks weitergegeben zu haben, u.a. die vielbeachteten Botschaftsdepeschen. Während Manning noch auf eine offizielle Verhandlung wartet, geraten seine außerordentlich strengen Haftbedingungen immer mehr in die Kritik. Der Sprecher von Hillary Clinton musste vor wenigen Tagen seinen Job aufgeben, nachdem er die Behandlung öffentlich als „ridiculous and counterproductive and stupid“ bezeichnet hatte.

Seit kurzem gibt es nun einen Appell von US-amerikanischen Philosophen und Juristen gegen Mannings Haftbedingungen, initiiert von Bruce Ackerman und Yochai Benkler, unterstützt u.a. von David Luban, Kwame Anthony Appiah, Brian Leiter (über den ich auch darauf aufmerksam geworden bin), Nancy Fraser und Thomas Pogge.

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Die öffentliche Reaktion der USA auf die Ereignisse in Ägypten – feiger Opportunismus oder gebotene Zurückhaltung?

Parallel zur Berichterstattung über die aktuellen Ereignisse in Ägypten gibt es eine wachsende Diskussion über die angemessene Reaktion westlicher Demokratien, insbesondere der USA. Zugespitzt findet sich etwa bei Jakob Augstein die These vom „Ende der westlichen Glaubwürdigkeit„: Wer immer von der Demokratie schwärme, zugleich aber autoritären Regimen selbst im Falle des Aufstands die Unterstützung nicht versagen will, so Augstein, offenbare eine besonders zynische Form der Doppelmoral. Doch was folgt aus diesem Befund? Und wie verwerflich ist die öffentliche Zurückhaltung der US-amerikanischen Regierung? Sollten sich demokratische Regierungen offen für demokratische Reformen in anderen Ländern aussprechen, sind sie vielleicht gar moralisch dazu verpflichtet? Dazu einige Überlegungen, die ich hier zur Diskussion stellen möchte. (mehr …)

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3 PostDoc-Stipendien für die Arbeitsgruppe von Nancy Fraser an der FU Berlin

Wir haben es leider jetzt erst gesehen, darum ein so kurzfristiger Hinweis auf drei attraktive Stipendien, die an der Graduiertenschule des John-F.-Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin ausgeschrieben sind. Dort wird unter der Leitung von Nancy Fraser eine Arbeitsgruppe zum Thema „Krise der amerikanischen Demokratie“ eingerichtet. Die Stipendien werden an promovierte Sozial- und KulturwissenschaftlerInnen für die Bearbeitung eigener Forschungsvorhaben im Rahmen der Arbeitsgruppe vergeben. Wer sich jetzt an den Schreibtisch setzt, kann es noch schaffen: Die Bewerbungsfrist ist der 3. Februar 2011. Alle weiteren Details hier.

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