Rawls und die Tiere

Das Mensch-Tier-Verhältnis fällt nicht in den Anwendungsbereich der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls. Diese ist allein auf institutionalisierte Beziehungen der Zusammenarbeit zwischen menschlichen Personen zugeschnitten. Wenn Rawls die Tiere dennoch erwähnt, so will er damit nur auf die Grenzen des Geltungsgebiets seiner Theorie hinweisen. Er sieht sehr wohl, dass starke vortheoretische Überzeugungen gegen eine grausame Behandlung von Tieren sprechen. Weil sie Lust und Schmerz empfinden könnten, hätten wir eine „Pflicht des Mitleids und der Menschlichkeit ihnen gegenüber“.[1]

Aber nicht die Vertragstheorie, auf der Rawls’ Gerechtigkeitsvorstellung fußt, könne eine solche Pflicht rechtfertigen; vielmehr bedürfe es dazu einer metaphysisch fundierten „Theorie der natürlichen Ordnung und unserer Stellung in ihr“.[2] Rawls sagt nichts darüber, wie eine solche umfassende Theorie und eine kontraktualistische Konzeption der Gerechtigkeit zueinander passen könnten. Fallen Pflichten des Mitleids und der Menschlichkeit in einen völlig anderen Rechtfertigungsraum als Pflichten der Gerechtigkeit? Vor allem aber: Ist der anthropozentrische Zuschnitt der Gerechtigkeitstheorie eigentlich angemessen, wenn diese die wichtigsten sozialen Institutionen zum Gegenstand hat?

In meinem Buch Politische Philosophie der Tierrechte argumentiere ich, dass die Grundordnungen aller gegenwärtigen Gesellschaften signifikant anders aussähen ohne die mannigfachen Beiträge von Tieren.[3] Tierliche Produkte sind in unserem Alltag allgegenwärtig und ganze Branchen wie die Landwirtschaft beruhen heute auf der massenhaften Haltung, Nutzung und Tötung von Tieren. Zudem zeichnen wir alle gemeinsam als Bürgerinnen und Bürger demokratischer Staaten für die Gesetze verantwortlich, die solche Praktiken erlauben. Man kann daher das Rawls’sche Gegenstandsverständnis der Gerechtigkeitstheorie grundsätzlich teilen und gerade deshalb zu dem Schluss gelangen, dass das Mensch-Tier-Verhältnis zu einer vollständigen Konzeption sozialer Gerechtigkeit dazugehört.

Ein solcher Ausweitungsschritt ist sicher nicht ohne Modifikationen möglich. Eine Theorie der Gerechtigkeit, die Tiere einschließt, wird in wesentlichen Hinsichten anders aussehen als die Rawls’sche Variante einer Vertragstheorie und sich auch von deren späterer Reformulierung als politischer Liberalismus unterscheiden. Doch man kann Rawls’ Ideen verändern, ohne den Bezugsrahmen seiner Konzeption ganz zu verlassen. Dass viele seiner Begriffe und Begründungsfiguren auch dann ausgezeichnete theoretische Ausgangspunkte sind, wenn man die von ihm gezogenen Schlüsse nicht teilt, sei im Folgenden an vier Beispielen gezeigt: dem Verständnis moralischer Begründung, der Gegenstandsbestimmung der Theorie, der Idee des öffentlichen Vernunftgebrauchs und der Praxis des zivilen Ungehorsams.

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Animal Politics: interessant, irritierend und herausfordernd – Bericht von der Frühjahrstagung der DVPW-Theoriesektion

Vom 12. bis 14. März kam die Theoriesektion auf Einladung von Peter Niesen und Bernd Ladwig zum Thema „Animal Politics“ in Hamburg zusammen und diskutierte Sein und Sollen von Tierrechten. Welcher Status und welche Rechte kommen Tieren zu – und wie sollen wir mit diesen umgehen? (mehr …)

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Das Tier als Mitbürger: Kymlickas „Zoopolis“

Stell dir vor, es ist Wahl, und in der Kabine neben dir steht ein Pferd. Haha, kleiner Scherz… Oder nicht? Will Kymlicka, der sich bisher vor allem zu Fragen eines multikulturalistischen Liberalismus, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie einen Namen gemacht hat, hat nun ein Buch zur Staatsbürgerschaft von Tieren veröffentlicht. Mit „Zoopolis“ knüpft der kanadische Philosoph an die Tierrechtstheorie – vor allem von Tom Regan – an und entwickelt einen spannenden und radikalen Ansatz, mit dem der moralische und politische Status von verschiedenen Gruppen von Tieren aus neuer Perspektive betrachtet wird.

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Tierethik Reloaded

Der amerikanische Romanautor Jonathan Safran Foer hat ein essayistisches Buch über Tierschutz geschrieben, eine Art neue Vegetarierbibel könnte man sagen. Mit „Eating Animals“ (in der deutschen Übersetzung „Tiere Essen“) legt Foer nämlich ein zugleich informiertes, witziges, kluges und philosophisches Buch zum Essen von Tieren und essenden Tieren, so der doppeldeutige Titel, vor. Er befreit die Tierethik damit zumindest in der Popkultur, vielleicht aber ja auch in der (Populär-)philosophie, ein Stück weit aus ihrem Schattendasein. (mehr …)

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