Kontestation als produktive Krise 

Das Forum „Krise und Normkontestation“ schließt mit einem Beitrag von Nicole Deitelhoff.

Wer eine Norm kontestiert, erlebt sie als krisenhaft oder will eine Krise der Norm erzeugen, um Veränderungen anzustoßen. Krisen sind Phasen von gravierender Verunsicherung (innerhalb) von Ordnungen. In der Krise fallen Gewissheiten, werden Strukturen brüchig und reißen Interaktionsprozesse ab. Krisen sind Phasen, in denen politische Ordnungen, ihre Normen und Regeln besonders wandelbar sind. Das ist nicht mit Verfall gleichzusetzen. In gewisser Weise sind politische Ordnungen sogar auf Krisen angewiesen, um ihre Normen, Regeln und Verfahren effektiv ändern und sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen oder auf gewandelte Einstellungen reagieren zu können. Einige Ordnungen lassen daher Kontestation nicht nur zu, sie fördern sie sogar aktiv: Demokratien nutzen Kontestation, um die eigene Wandlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und ihre Legitimität zu sichern. Sie begreifen Kontestation als produktive Krise.  

(mehr …)

Weiterlesen

Die Killer-Roboter sind hier! Krisen als Treibstoff für präventive Rüstungskontrollnormen  

Im Rahmen des Forums „Krise und Normkontestation“ veröffentlichen wir einen Beitrag von Berenike Prem.

Staaten handeln selten vorausschauend. Es bedarf häufig einer Krise, um ein Problembewusstsein zu schaffen, bestehende Normen infrage zu stellen und die Suche nach neuen Normen zu fördern. Der Stellenwert von Krisen für Prozesse der Normkontestation und Genese macht deutlich, vor welchen Herausforderungen Akteure gestellt sind, die antizipative Normen etablieren oder bestehende Normen „fit“ für die Zukunft machen wollen. Diese Normen sind wirksam, noch bevor sich Krisen voll zu entfalten scheinen. Funktioniert Normkontestation also auch ohne Krisen? Dieser Beitrag beleuchtet die Bedeutung von Krisen als endogenem Faktor in Normdynamiken und zeigt, wie sie durch vorausschauende Praktiken visuell, narrativ und performativ konstruiert werden, um normative Veränderungen anzustoßen. Diese Annahmen werden am Beispiel präventiver Rüstungskontrollnormen für neue Waffentechnologien (autonome Waffensysteme) diskutiert. 

(mehr …)

Weiterlesen

Krise und Normkollisionen

Wir setzen das Forum „Krise und Normkontestation“ mit einem Beitrag von Anna Holzscheiter, Andrea Liese und Sassan Gholiagha fort.

Krisen sind keine objektiven Tatsachen – sie sind intersubjektive Zuschreibungen (siehe auch den Blogbeitrag von Berenike Prem). Krisen sind von Mangel, Unsicherheit und/oder Instabilität geprägte Ereignisse, Zustände oder Prozesse. Die Politik der Krise ist nicht nur die Politik des Krisenmanagements, sondern grundsätzlicher die Politik der diskursiven Verhandlung über das Label „Krise“. Ob und wie eine Deutung von einschneidenden Ereignissen, Katastrophen und (Wandlungs-)prozessen als „Krise“ politisch wirkmächtig werden kann und damit definiert, welche Krisen politischen Handelns würdig sind, ist von herausragender wissenschaftlicher Relevanz. Krisenzuschreibungen sind demnach sowohl zeitlich als auch räumlich kontingent und potenziell umstritten.

In der Politikwissenschaft sind die unterschiedlichen Effekte von Krisenwahrnehmung und -diskurs schon lange systematisch erforscht, allen voran Dynamiken der Versicherheitlichung von Politikfeldern und Problemen jenseits der klassischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Gut erforscht sind auch die Möglichkeiten zur Diffusion von Verantwortung, die Krisenzuschreibungen eröffnen (Externalisierung) sowie die Möglichkeiten, politisches Handeln als zwingend und alternativlos zu rechtfertigen und, schließlich, die Legitimation und Ausweitung exekutiver Kompetenzen, die sehr häufig auch über das Ende der jeweiligen (wahrgenommenen) Krise hinaus bestehen bleibt.  

Unser Beitrag zu diesem Forum stellt Normkollisionen als Begleiterscheinung von Krisen in den Mittelpunkt. Der Zusammenhang zwischen Krisenwahrnehmung einerseits und Normschaffung, Normkontestation und Normwandel andererseits ist, zumindest implizit, schon lange Gegenstand wissenschaftlicher Debatten – auch in der Disziplin der Internationalen Beziehungen (IB) (siehe auch den Beitrag von Laura von Allwörden). Vielbeachtete Fälle von Normkontestation, also der Infragestellung der Normgeltung oder Normanwendbarkeit, sind solche, bei denen – als Reaktion z.B. auf Krisen wie den 11. September 2001 –, weitgehend als universell betrachtete Normen wie das Folterverbot oder das Verbot der Anwendung von Gewalt (Art. 2, Abs. 4 Charta der Vereinten Nationen) angefochten worden sind. Aufbauend auf diesen Debatten stellen wir hier zwei Fragen: Inwiefern machen wahrgenommene Krisen Normkollisionen sichtbar? Und inwiefern eröffnen Krisen mit Blick auf diese Normkollisionen die Möglichkeit, bestehende Normenhierarchien zu hinterfragen? Konkreter diskutieren wir, wie sich disruptive Ereignisse und Prozesse, die mehrheitlich von politischen und gesellschaftlichen Akteuren als Krise wahrgenommen werden, auf Normen und ihre Beziehungen und damit eben auch auf Kollisionen zwischen Normen auswirken. (mehr …)

Weiterlesen

Krisen: Depolitisierung und ihre Anfechtung

Den zweiten Beitrag zum Forum „Krise und Normkontestation“ steuert Christian Kreuder-Sonnen bei.

Akute, existentielle Bedrohungen, die unter Zeitdruck politische Antworten erfordern, lassen wenig Raum für argumentative Auseinandersetzung. Die in solchen Krisen eingesetzten politischen Mittel und Maßnahmen entziehen sich daher zumindest kurzfristig oft tiefgehender Anfechtung (Kontestation). Wie ich in diesem Beitrag argumentiere, stellen Krisen jedoch in mindestens zweierlei Hinsicht auch Treiber von spezifischen Praktiken der Normkontestation dar. Zum einen können notstandspolitische Maßnahmen selbst eine verhaltensbezogene Form der Normkontestation darstellen, indem sie in der Praxis mit gewissen Normen brechen und andere Normen implementieren. Zum anderen führt die diskursive Depolitisierung der akuten Krisensituation – gekoppelt mit weitreichenden krisenpolitischen Maßnahmen – mittelfristig zu einer repolitisierenden Gegenreaktion, bei der Normen und politische Institutionen insgesamt mit besonderer Intensität angefochten werden.

(mehr …)

Weiterlesen

CfP: Normentheorie im digitalen Zeitalter

Am 23. und 24. Oktober 2020 findet in Köln ein von Frauke Rostalski und Milan Kuhli organisierter interdisziplinärer Workshop zum Thema „Normentheorie im digitalen Zeitalter“ statt. An den zwei Tagen soll es unter anderem darum gehen, welche Konsequenzen die digital Transformation für rechtliche und politische Konstrukte wie Verantwortung, Schuld, Haftung und Eigentum hat. Auch wird schon im Call thematisiert, wie Normtheorie und Grundrechtsdebatten zur digitalen Konstellation passen.  Wer sich für diese Fragen interessiert und teilnehmen möchte, kann bis zum 28. Februar einnen Abstract einreichen, alle Infos findet ihr hier im Call als PDF.

Weiterlesen

Workshop mit Christoph Möllers in Würzburg

Am 28. November 2018 findet in Würzburg ein Workshop mit Christoph Möllers (HU Berlin) zum Thema „Schalten Normen Alternativen frei zu dem, was ist?“ statt. Im Rahmen des Workshops wird insbesondere Möllers‘ Buch „Die Möglichkeit der Normen. Über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität“ diskutiert werden.

Die Veranstaltung wir organisiert und moderiert von Wolfgang M. Schröder (Professur für Philosophie am Institut für Systematische Theologie der Universität Würzburg). Interessierte sind herzlich eingeladen. Alle Informationen zu Veranstaltungszeit und -ort finden sich gebündelt hier.

Weiterlesen

CfP: Wozu Normen? (Düsseldorf)

Für den AK Normen und Normativität in der Sektion soziologische Theorie der DGS laden Fabian Anicker (Düsseldorf/Münster), Matthias Klemm (Fulda), Linda Nell (Münster) und Ulf Tranow (Düsseldorf) am 27. und 26. Juli 2018 an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Beitragsvorschläge zum Tagungsthema „Wozu Normen? – Zur Funktion von Normativität in der theoretischen Soziologie“, das Begriffe sozialer Normen und Fragen von Normativität im Kontext soziologischer Theorie(n) umfasst, können bis zum 20.05.2018 unter normen@uni-duesseldorf.de eingereicht werden. Sie sollten die Form von extended abstracts (1500-2000 Worten) haben. Der vollständige Call findet sich hier.

Weiterlesen

CfP: Soziologische Normativität

Soziologische Verständnisse des Normativen, Normen und Handlungspraxis, Normen und multiple Differenzierung und Soziologische Normativität und Reflexionstheorien – dies sind die vier thematischen Schwerpunkte des ersten Workshop des Arbeitskreises „Normen und Normativität“der Sektion Soziologische Theorie der DGS. Fabian Anicker, Matthias Klemm, Ulf Tranow und Linda Nell laden dazu am 14. und 15. Juli 2017 an die Hochschule Fulda. Abstracts (1-2 Seiten) sind bis zum 26. März 2017 willkommen. Detaillierte Informationen folgen und diesem Link.

Weiterlesen