Patberg-Buchforum (3): Rekonstruktion mit Methode

In der dritten Runde unseres Buchforums setzt sich Andreas Busen aus methodologischer Sicht mit Markus Patbergs „Usurpation und Autorisierung – Konstituierende Gewalt im globalen Zeitalter“ auseinander.

Aus methodologischer Sicht ist Markus Patbergs „Usurpation und Autorisierung“ ein echter Glücksfall. Dies hat mehrere Gründe: Zunächst einmal ist es bereits bemerkenswert, dass man hier eine Arbeit vor sich hat, in der nicht nur eine differenzierte Methoden-Reflexion stattfindet, sondern auch die einzelnen Schritte der Untersuchung immer wieder methodologisch rückgebunden und überprüft werden. Das ist in der politischen Theorie bei Weitem nicht immer der Fall – weshalb bisweilen gar die Auffassung vertreten wird, die politische Theorie arbeite regelrecht Methoden-frei und insofern unwissenschaftlich (so etwa Kittel 2009). Patbergs Studie liefert hier einen mehr als überzeugenden Gegenbeweis. Entscheidender ist aber, dass sich Patberg mit der Rekonstruktion für eine Methode entschieden hat, die erst in den letzten Jahren überhaupt als eine distinkte Methode der politischen Theorie erkannt und diskutiert worden ist – und zwar praktisch ausschließlich in Verbindung mit den Werken von Jürgen Habermas und Axel Honneth. Dies hat nicht nur die Schwierigkeit mit sich gebracht, Rekonstruktion als Methode von den substanziellen Thesen dieser Werke zu isolieren, sondern auch die Frage aufgeworfen, inwiefern sie sich überhaupt fruchtbar jenseits der spezifischen Projekte von Habermas und Honneth anwenden lässt. Mit Blick auf beide Aspekte verspricht Patbergs Studie aufschlussreiche Erkenntnisse. Denn er schließt zwar an Habermas‘ ‚rationale Rekonstruktion‘ an, wählt aber mit der suprastaatlichen Verfassungspolitik einen über Habermas‘ Arbeiten hinausgehenden Untersuchungsgegenstand und muss so zwangsläufig ausloten, wie und unter welchen Bedingungen sich diese Methode verallgemeinern lässt. Dieser, wenn man so will, methodologischen Pionierarbeit soll im Folgenden eine kritische Würdigung zuteilwerden.

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Patberg-Buchforum (1): Konstituierende Gewalt zwischen Faktizität und Geltung

Den Auftakt zu unserem Buchforum zu Markus Patbergs „Usurpation und Autorisierung – Konstituierende Gewalt im globalen Zeitalter“ macht Rainer Schmalz-Bruns.

Die von Markus Patberg im Januar dieses Jahres in der Reihe „Theorie und Gesellschaft“ im Campus Verlag veröffentlichte und höchst bemerkenswerte Arbeit lässt wenig Spielraum, nicht schlicht beeindruckt zu sein. Was fasziniert und unmittelbar einnimmt, ist die intellektuelle Verve, mit der hier das Projekt verfolgt wird, suprastaatliche Verfassungspolitik als eine Praxis von freien und gleichen Bürgern zu fassen und zu gestalten. Was aspirativ und vom Anspruch her überzeugt, ist der Versuch, das Konzept der pouvoir constituant für diese Zwecke als Kategorie der demokratischen Legitimität gegen verbreitete Widerstände in der verfassungstheoretischen, internationalrechtlichen und politikwissenschaftlichen Diskussion zu reaktivieren und sie im Rahmen eines aufwändigen, mehrstufigen und mehrdimensionalen Verfahrens der Rekonstruktion in eine neue, transnationale Konzeption zu überführen. Was schließlich dazu führt, dass man sich dem Sog der äußerst umsichtig angelegten und bis in die Details der Durchführung höchst instruktiven begrifflichen und konzeptionellen Überlegungen gerne überlässt, ist der Umstand, dass Patberg diese am Ende auf eine konstruktive Pointe zulaufen lässt, mit der er ein Modell der institutionellen Gewährleistung und Hegung einer auf Dauer gestellten demokratischen Praxis konstitutioneller Selbsttransformation politischer Gemeinschaften auf nationaler und transnationaler Ebene anzubieten vermag – ein Modell, das trotz seiner visionär-aspirativen Züge nicht einfach als bloße Projektion eines Geistersehers abgetan werden kann, sondern als freilich verdichteter Ausdruck praktisch bereits wirksamer Spuren kommunikativer Vernunft verstanden werden kann und soll.

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Sezessionsansprüche konstituierender Völker – Replik auf Markus Patberg

Formen substaatlicher Autonomie gelten weithin als vorzugswürdige Alternative zu einer Sezession. Wie sich gegenwärtig in Katalonien zeigt, werden Sezessionsansprüche aber auch dann gestellt, wenn Gruppen in demokratischen Rechtsstaaten über Autonomie verfügen. Dies führt mitunter dazu, diesen Gruppen eine Art von rückständigem Kommunitarismus zuzuschreiben, der sich am besten damit erklären lässt, dass sie noch nicht von der Ideologie des Nationalismus befreit worden sind. In meinem Aufsatz, der im ZPTh-Themenheft zur Gründung der Republik erschienen ist [pdf], plädiere ich für eine weniger vorurteilsbeladene Auffassung. Mit der Freiheit als Nicht-Beherrschung weise ich den Erhalt von Föderationen als vorzugswürdig aus. Dennoch hat eine Gruppe, die von vielen ihrer Mitglieder aus öffentlich nachvollziehbaren Gründen als ein eigenes konstituierendes Volk verstanden wird, ein Recht auf die effektive Anfechtbarkeit einer gegebenen Verfassung, das bis hin zu einer Sezession reichen kann. Markus Patberg fasst in seinem Kommentar meine Argumentation sehr gut nachvollziehbar zusammen. Darauf aufbauend formuliert er drei kritische Punkte, die sich als Rückfragen wie folgt formulieren lassen. Erstens: Wer ist das Volk? Zweitens: In welchem Verhältnis stehen Nationalismus und Beherrschung? Drittens: Wer hat das Recht auf Letztentscheidung? Mit allen drei Punkten setzt Patberg bei entscheidenden Stellen meiner Argumentation an. Nicht zuletzt deshalb möchte ich ihm herzlich danken.

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Beherrschung und Sezession – Andreas Oldenbourgs ZPTh-Artikel in der Diskussion

„Die Gründung der Republik“ lautet der Schwerpunkt des aktuellen Themenhefts (2/2017) der Zeitschrift für Politische Theorie.  In der Verantwortung von Gastherausgeber Andreas Braune behandeln die Beiträge dabei Dilemmata der Entstehung und Erhaltung konstitutioneller Demokratien und ringen um eine „theoriegeleitete Neujustierung des Verhältnisses von Demokratie und Konstitutionalismus“ (Braune, S. 140). Danny Michelsen thematisiert zum Einstieg und bezugnehmend auf Arendt und Jefferson Möglichkeiten der Fortführung des Gründungsmoments in Verfassungsordnungen. Im Anschluss setzen sich Maike Heber mit aktuellen Kritiken und Herausforderungen des italienischen Konstitutionalismus, Dagmar Comtesse mit Lehren aus Rousseaus radikaldemokratischem Volkssouveränitätsverständnis für eine postnationale Republik und Oliver W. Lembcke und Bart van Klink mit dem Böckenförde-Diktum und Voraussetzungen freiheitlicher Ordnungen in Zeiten von Islamismus und Populismus auseinander. Damit umfasst das Themenheft politiktheoretische Analysen und Beiträge zu einigen der dringendsten politischen Fragen der Gegenwart.

Andreas Oldenbourgs Aufsatz zu konstituierender Selbstbestimmung in multinationalen Föderationen gehört ebenfalls in diese Reihe. Wir freuen uns, dass wir ihn im Rahmen unserer bewährten Zusammenarbeit mit der ZPTh kostenlos zum Download zur Verfügung stellen können. Mit Markus Patberg haben wir zudem den passenden Kommentator gefunden, der im Folgenden den Aufschlag zur Debatte übernimmt. Wir laden zugleich alle herzlich ein, mit in die Diskussion einzusteigen und die Kommentarspalten zu füllen. Andreas Oldenbourg wird auf den Kommentar, wie auch auf die Diskussion in den nächsten Wochen antworten. Los geht‘s mit dem Kommentar von Markus Patberg:

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Die Grenzen der Demokratie und die Frage nach demokratischen Grenzen

Nele Kortendiek und Marina Martinez Mateo (Hrsg.), 2017: Grenze und Demokratie. Ein Spannungsverhältnis. Frankfurt a.M.: Campus. ISBN 978-3-593-50725-5, 39,95€.

Der DVPW-Kongress 2018 wird die Frage der Grenzen der Demokratie / Frontiers of Democracy im Kontext ihrer aktuellen Krisen stellen. Tenor des Call for Papers ist, dass Demokratie auf vielfältige Weise an ihre Grenzen stößt und dass zugleich diese Krisendiagnosen politikwissenschaftlich genauer betrachtet werden sollten, um in den Grenzgebieten der Demokratie vielleicht auch neue Entwicklungsmöglichkeiten auszuloten. (mehr …)

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CfP: ZPTh-Themenheft zu „Die Gründung der Republik“

Die Zeitschrift für Politische Theorie bittet um Beiträge zum Themenheft „Die Gründung der Republik. Konstitutionelle Demokratien und die Dilemmata ihrer Entstehung und Erhaltung“. Inhaltlich sollen dabei Fragen der konstituierenden und konstituierten Gewalt, Fragen der Verfassung und Verfassheit politischer Gemeinwesen zur Debatte stehen. Ziel ist, der „Reflexion über das spannungsreiche Verhältnis von Demokratie, Gründung und Konstitutionalismus“ historisch informiert und im Kontext gegenwärtiger Herausforderungen neue Impulse zu geben. Kurze Abstracts sind bis 31. Januar 2017 an den Herausgeber des Themenheftest,  Andreas Braune (FSU Jena), zu senden. Die Frist für die kompletten Beiträge ist der 31. Mai 2017. Weitere Infos zu konkreter Themenstellung und formalen Anforderungen finden sich im Call bzw. nach dem Klick.

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