Die Größe der Demokratie: Über (eine) räumliche Dimension von Partizipation und Herrschaft (Buchforum „Die Größe der Demokratie“, Teil 3)

Da seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert mit der Erfindung und Etablierung repräsentativer Demokratien auch „Flächenstaaten“ als Demokratien bezeichnet werden, ist es nach Dirk Jörke fraglich, ob die Größe noch immer als Ermöglichungsbedingung einer normativ-anspruchsvollen Form von Demokratie angenommen werden kann (S. 81). Um die Möglichkeiten einer Aktualisierung der klassischen (republikanischen) Lehre von Demokratie und Größe auszuloten, schlägt er vor, die „Größe des Herrschaftsverbandes“ über die „Fläche des Staates“ oder „Einwohnerzahl“ zu bestimmen (S. 82). Dieses Größenverständnis ist der maßgebende Bezugspunkt für die Überprüfung der Ergebnisse der empirischen Demokratieforschung hinsichtlich etwaiger Zusammenhänge von Größe, Demokratieaffinität und -qualität.

Jörke deutet allerdings selbst an, dass „diese Operationalisierung von Größe nicht optimal ist“ und im Gegensatz zum Demokratiebegriff fällt die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Größe doch eher knapp aus (S. 83). Ich möchte einige Anmerkungen dazu machen, inwiefern unter Einbeziehung anderer Ideen und Verständnisweisen der räumlichen Dimension von Demokratie, Partizipation und Herrschaft ein differenzierter Größenbegriff entworfen werden könnte. Die Berücksichtigung der räumlichen Dimension der politisch-ökonomischen Grundlagen des demokratischen Gemeinwesens erweist sich als besonders vielversprechend, um das begriffliche Verständnis von Größe zu schärfen. (mehr …)

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Für eine Europäische Konföderation? (Buchforum „Die Größe der Demokratie“, Teil 2)

Ist die Europäische Union noch zu retten? In seinem Buch bejaht Dirk Jörke diese Frage. Die EU stehe zwar vor dem ideengeschichtlich altbekannten Dilemma der Vereinbarkeit von Demokratie und großer Ausdehnung. Doch die eher düstere Diagnose, wonach die EU in ihrer derzeitigen Form politische Teilhabe wie auch soziale Gleichheit unterminiere, endet eben nicht in einer Jeremiade. Das letzte Kapitel bietet nämlich einen recht konkreten Lösungsvorschlag: den Föderalismus.

Die Attraktivität des Föderalen für Konstellationen komplexen, großräumigen Regierens hat gewichtige Gewährsleute, denn föderale Arrangements durchziehen die politische Ideengeschichte seit der Renaissance: Sie werden, von Althusius und Montesquieu bis zu Tocqueville, wenn schon nicht als ideale, so doch als pragmatische, realisierbare, auf Ausgleich bedachte Mittelwege angesichts unauflösbarer Zielkonflikte konturiert. Der Zielkonflikt räumlich großer politischer Gebilde betrifft dabei häufig die Vereinbarkeit von politischer Ordnungsleistung – etwa militärischer und wirtschaftlicher Absicherung – mit republikanischer Freiheit oder demokratischer Qualität. Dieses Motiv transponiert Jörke, an bekannte Positionen der Europaforschung anschließend, auf seine Analyse der EU: Ihr Dilemma zwischen supranationaler Problembewältigung einerseits und der Gefährdung effektiver Teilhabe und sozialer Gleichheit andererseits könne durch eine föderale Verfasstheit bewältigt werden. (mehr …)

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Bricht die EU die Versprechen der Demokratie? (Buchforum „Die Größe der Demokratie“, Teil 1)

Dirk Jörkes neues Buch befasst sich mit einer für die moderne Demokratietheorie zentralen Fragestellung, die gleichwohl selten so explizit adressiert wird: Der Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit effektiver politischer Partizipation in Staatsgebilden von großer territorialer Ausdehnung und einer Bevölkerung von vielen Hundert Millionen Menschen. Jörke selbst möchte sein Buch nicht als Darlegung einer umfassenden Demokratietheorie, sondern als „politisch-wissenschaftlichen Essay“ (S. 10) verstanden wissen. Dieser hat durchaus programmatischen Charakter für politische Bestrebungen, den Nationalstaat gegenüber supra- und internationalen Institutionen zu stärken, um auf diese Weise nicht nur eine engere Bindung zwischen politischen Entscheidungsträgern und Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch ein höheres Maß an sozialem Ausgleich und Umverteilung zu ermöglichen. Seiner politisch-wissenschaftlichen Zielsetzung entsprechend, verbindet Jörkes Text durchaus tiefgehende und anspruchsvolle politiktheoretische und ideengeschichtliche Reflexion mit einem hohen Maß an Zugänglichkeit und praktischer Relevanz in einer Weise, die in der deutschen politischen Theorie relativ selten ist. Es ist daher davon auszugehen, dass diese durchaus provokative Intervention in den Diskurs über die Zukunft der Europäischen Union, die zudem in einem sehr konkreten institutionellen Reformvorschlag mündet, lebhaft und kontrovers diskutiert werden wird. (mehr …)

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Buchforum zu Dirk Jörke: Die Größe der Demokratie. Über die räumliche Dimension von Herrschaft und Partizipation (Suhrkamp Berlin 2019)

Dieses Buchforum widmet sich Dirk Jörkes von Suhrkamp verlegtem Buch Die Größe der Demokratie. Über die räumliche Dimension von Herrschaft und Partizipation. Folgen wir der Verlagsbeschreibung des Buchs, herrschte „lange Konsens über die Einbindung von Nationalstaaten in transnationale Gemeinwesen wie die Europäische Union“, eine Ansicht, die „zuletzt unter Druck“ geriet. „Angesichts dieser Konstellation“ sichte „Jörke – von Aristoteles bis Jürgen Habermas – Argumente und Befunde zum Zusammenhang zwischen der Größe und der demokratischen Qualität von Staaten. Ausgehend von einer republikanischen Position, bei der die Gleichheit und die Partizipation der Bürgerinnen im Mittelpunkt stehen, plädiert er in seinem so wichtigen wie kontroversen Beitrag für eine räumliche Begrenzung der Demokratie und den Umbau der EU zu einer Konföderation.“ (mehr …)

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Workshop: Social Justice, the Financial Crisis, and the Eurozone (Darmstadt)

Miriam Ronzoni und Juri Viehoff organisieren am 9. und 10. Mai in Darmstadt einen Workshop zu Social Justice, the Financial Crisis, and the Eurozone. Im Zentrum der Diskussionen soll das Untersuchen der normativen Grundlagen geteilter monetärer Autorität und der instutionellen Reaktionen auf die Finanzkrise stehen. Unter anderem mit von der Partie sind Richard Bellamy, Glyn Morgan und Waltraud Schelkle. Die Teilnahme ist kostenlos, muss aber angemeldet werden (bei Martina Dingeldein). Alle Infos zum Workshop auch nochmal hier in einer PDF.

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Konferenz: Technocracy and Democracy in Times of Financial Crisis

Am 06. und 07. März findet in Darmstadt eine Konferenzu zu „Technocracy and Democracy in Times of Financial Crisis“. Die von Jens Steffek und Hubert Heinelt organisierte Konferenz beschäftigt sich mit dem Thema Politik und Expertise und legt einen besonderen Schwerpunkt auf den Umgang der EU mit der Finanzkrise – und die daraus resultierenden institutionellen Umbauarbeiten. Als Keynote gibt es einen öffentlichen Abendvortrag von Marcel Fratzscher (DIW) zu Democracy and Technocracy – the Dilemma of the European Central Bank. Bei Interesse an der Tagung wird um Anmeldung bei Martina Dingeldein (dingeldein@pg.tu-darmstadt.de) gebeten, möglichst bis 27. Februar. Hier das Programm mit allen Namen und Infos.

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Mehr Arendt wagen: Ja, aber…

Unter der Überschrift »Wir wollen mehr Hannah Arendt wagen« hat Christine Landfried gestern am 4. Februar im Feuilleton der FAZ einen Artikel (derzeit hinter Paywall) veröffentlicht. In diesem wird unter Berufung auf Hannah Arendt eine Reform der Europäischen Union vorgeschlagen. Da ich mich in meiner Dissertation »Republikanismus und die Europäische Union« genau mit dieser Konstellation beschäftigt habe, möchte ich an dieser Stelle einige Anmerkungen zum Argument Landfrieds machen. Mein Einwand ist, dass der Versuch, eine politiktheoretische Perspektiven in den öffentlichen Europadiskurs einzubringen, zwar absolut begrüßenswert ist, die Art aber, wie Landfried mit Arendt als Blaupause und Legitimierungsinstanz umgeht, der analytischen Schärfe sowie den Intentionen von deren Denken gerade nicht gerecht wird. (mehr …)

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Baustelle Bundesstaat? Steven Schällers ZPTH-Artikel in der Diskussion

In der ersten Ausgabe des 2012er Jahrgangs der Zeitschrift für Politische Theorie stellt Steven Schäller einige Überlegungen zur Europa-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und deren Rezeption an – eine Diskussion, die ja gerade mit den jüngsten Urteilen noch weiter an Brisanz gewinnt. Im Rahmen unserer Kooperation mit der Zeitschrift (bisher erschienen: Kommentare zu Bernd Ladwig und Oliver Flügel-Martinsen) bieten wir euch hier die PDF-Version des Artikels zum kostenlosen Download an. Unter dem Strich analysiert und kommentiert dann Alexandra Kemmerer, wissenschaftliche Koordinatorin des Forschungsverbundes Recht im Kontext, dann den Beitrag von Steven Schäller.

Wir freuen uns auf eine lebhafte Diskussion, die diesmal parallel hier und auf dem Verfassungsblog geführt wird. Steven Schäller wird voraussichtlich nächste Woche auf alle bis dahin eingegangenen Kommentare in einem eigenen Post reagieren. Nun aber zu Alexandras Kommentar. (mehr …)

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