Nachruf auf Georg Lohmann (1948-2021)

Der Philosoph Georg Lohmann ist am 4. Dezember 2021 nach langer Krankheit gestorben. Er lehrte und forschte seit 1996 als Professor für Praktische Philosophie an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Vier Jahre lang, von 2000 bis 2004, durfte ich dort als wissenschaftlicher Assistent mit ihm zusammenarbeiten. Einen besseren, faireren, freundlicheren Chef hätte ich mir nicht wünschen können. Er begegnete mir immer auf Augenhöhe, hielt mir den Rücken für meine eigene Forschung frei und nahm mir selbst lautstark ausgetragene Auffassungsunterschiede nicht übel, weil für ihn das Herz der Philosophie im argumentativen Streit schlug. (mehr …)

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Rawls und die Tiere

Das Mensch-Tier-Verhältnis fällt nicht in den Anwendungsbereich der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls. Diese ist allein auf institutionalisierte Beziehungen der Zusammenarbeit zwischen menschlichen Personen zugeschnitten. Wenn Rawls die Tiere dennoch erwähnt, so will er damit nur auf die Grenzen des Geltungsgebiets seiner Theorie hinweisen. Er sieht sehr wohl, dass starke vortheoretische Überzeugungen gegen eine grausame Behandlung von Tieren sprechen. Weil sie Lust und Schmerz empfinden könnten, hätten wir eine „Pflicht des Mitleids und der Menschlichkeit ihnen gegenüber“.[1]

Aber nicht die Vertragstheorie, auf der Rawls’ Gerechtigkeitsvorstellung fußt, könne eine solche Pflicht rechtfertigen; vielmehr bedürfe es dazu einer metaphysisch fundierten „Theorie der natürlichen Ordnung und unserer Stellung in ihr“.[2] Rawls sagt nichts darüber, wie eine solche umfassende Theorie und eine kontraktualistische Konzeption der Gerechtigkeit zueinander passen könnten. Fallen Pflichten des Mitleids und der Menschlichkeit in einen völlig anderen Rechtfertigungsraum als Pflichten der Gerechtigkeit? Vor allem aber: Ist der anthropozentrische Zuschnitt der Gerechtigkeitstheorie eigentlich angemessen, wenn diese die wichtigsten sozialen Institutionen zum Gegenstand hat?

In meinem Buch Politische Philosophie der Tierrechte argumentiere ich, dass die Grundordnungen aller gegenwärtigen Gesellschaften signifikant anders aussähen ohne die mannigfachen Beiträge von Tieren.[3] Tierliche Produkte sind in unserem Alltag allgegenwärtig und ganze Branchen wie die Landwirtschaft beruhen heute auf der massenhaften Haltung, Nutzung und Tötung von Tieren. Zudem zeichnen wir alle gemeinsam als Bürgerinnen und Bürger demokratischer Staaten für die Gesetze verantwortlich, die solche Praktiken erlauben. Man kann daher das Rawls’sche Gegenstandsverständnis der Gerechtigkeitstheorie grundsätzlich teilen und gerade deshalb zu dem Schluss gelangen, dass das Mensch-Tier-Verhältnis zu einer vollständigen Konzeption sozialer Gerechtigkeit dazugehört.

Ein solcher Ausweitungsschritt ist sicher nicht ohne Modifikationen möglich. Eine Theorie der Gerechtigkeit, die Tiere einschließt, wird in wesentlichen Hinsichten anders aussehen als die Rawls’sche Variante einer Vertragstheorie und sich auch von deren späterer Reformulierung als politischer Liberalismus unterscheiden. Doch man kann Rawls’ Ideen verändern, ohne den Bezugsrahmen seiner Konzeption ganz zu verlassen. Dass viele seiner Begriffe und Begründungsfiguren auch dann ausgezeichnete theoretische Ausgangspunkte sind, wenn man die von ihm gezogenen Schlüsse nicht teilt, sei im Folgenden an vier Beispielen gezeigt: dem Verständnis moralischer Begründung, der Gegenstandsbestimmung der Theorie, der Idee des öffentlichen Vernunftgebrauchs und der Praxis des zivilen Ungehorsams.

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Zwei Stimmen zu Griechenland

Die Situation in Griechenland spitzt sich zu. Nachdem die Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den “Institutionen” am Wochenende zu keinem Ergebnis geführt haben, rückt der griechische Staat an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Immer öfter und immer lauter wird über die Möglichkeit eines “Grexit” gesprochen, eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone. Für den kommenden Sonntag hat die griechische Regierung ein Referendum über das jüngste Angebot der “Institutionen” angekündigt, verbunden mit der klaren Empfehlung, dieses Angebot abzulehnen. –– Wir wollen mit euch darüber diskutieren, wie diese Entwicklungen einzuschätzen und zu bewerten sind, was sie für die Zukunft Griechenlands und Europas bedeuten. Den Auftakt hierfür bilden zwei Kommentare von Bernd Ladwig (Berlin) und Christian Volk (Trier), die wir für euch im Folgenden zusammengestellt haben. (mehr …)

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