Was der Richterin recht ist, ist der Sparkassenkundin nicht billig

Der Bundesgerichtshof spricht Frauen keinen Rechtsanspruch auf weibliche Personenbezeichnungen in Vordrucken und Formularen zu. Das entspräche dem allgemeinen Sprachgebrauch. Der Sprachgebrauch im Urteil beweist das Gegenteil. André Brodocz über einen performativen Selbstwiderspruch im BGH-Urteil vom 13. März 2018 (VI ZR 143/17).

Frau K. hat kein Recht darauf, dass die Sparkasse sie in ihren Formularen und Vordrucken als „Kontoinhaberin“ anspricht. So hat es der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs am 13.3.2018 verkündet. Denn Frau K. erführe aus der objektiven Sicht eines verständigen Dritten durch die maskuline Ansprache als Kontoinhaber keine Benachteiligung. Es komme auch keine Geringschätzung zum Ausdruck, wenn Frauen als „Kontoinhaber“ angesprochen werden, obwohl ihr natürliches Geschlecht nicht männlich sei. Denn dies entspräche dem allgemeinen Sprachgebrauch. Dass in der Gesetzgebung und Verwaltung dennoch seit geraumer Zeit das Ziel verfolgt wird, die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck zu bringen, hat der Senat zwar im Blick. Doch fällt ihm dies nicht ausreichend ins Gewicht. Es gebe weiterhin zahlreiche Gesetze, die Personen nur maskulin ansprechen. Ob die Ausführungen des Senats zum allgemein üblichen Sprachgebrauch und zur linguistisch korrekten Nutzung des generischen Maskulinums überzeugen, seien hier dahin gestellt. Es fällt aber auf, dass die Senatsmitglieder ihr Geschlecht bei der Ausübung ihres Amtes für sich selbst sehr wohl nutzen. Die weiblichen Mitglieder bezeichnen sich selbst in ihren Urteilen als Richterin, die männlichen Mitglieder als Richter. Aus der vom Senat bemühten objektiven Perspektive eines verständigen Dritten sollte für die Ausübung des Amts das Geschlecht der Senatsmitglieder aber keine Rolle spielen. Aber was bringt diese Differenzierung nach den Geschlechtern dann zum Ausdruck? Nach der Logik des Senats ist es wohl die subjektive Perspektive. Eine solche umfasst eben auch die Sicht, die ein Subjekt auf sich selbst hat. Dazu gehört der eigene Name, mit dem die Senatsmitglieder die Urteile persönlich zeichnen. Dazu gehört offensichtlich auch ihr Geschlecht, das sie als „Richterin“ oder „Richter“ ebenso zum Ausdruck bringen. Der Sprachgebrauch der Senatsmitglieder sieht im generischen Maskulinum des „Richters“ anscheinend eine Personenbezeichnung, die ihnen nur dem Anschein nach neutral ist. Diese Geschlechtersensibilität lassen sie folgerichtig auch Personen in Gerichtsverfahren zuteilkommen, die sie als „Kläger“ oder „Klägerin“, als „Beklagte“ oder „Beklagter“ ansprechen. Frau K. wollen sie aber mit genau diesem Sprachgebrauch das Recht auf eine solche Ansprache durch die Sparkasse nicht zugestehen. Diesem performativen Selbstwiderspruch bieten sich nur wenig Auflösungen: Sollte der Sprachgebrauch des Bundesgerichtshofs für den allgemeinen Sprachgebrauch etwa nicht kennzeichnend oder prägend sein? Oder darf der Richterin gar etwas recht sein, was der Sparkassenkundin nicht billig ist?

 

André Brodocz ist Professor für Politische Theorie an der Universität Erfurt und Mitherausgeber der Zeitschrift für Politische Theorie. Von 2003 bis 2011 war er Mitglied im Vorstand der DVPW-Sektion „Politische Theorie und Ideengeschichte“.

2 Kommentare zu “Was der Richterin recht ist, ist der Sparkassenkundin nicht billig

  1. “ … dass die Senatsmitglieder ihr Geschlecht bei der Ausübung ihres Amtes für sich selbst sehr wohl nutzen …“

    bedeutet mitnichten einen „performativen Selbstwiderspruch“ (pSw):
    Das Recht der Kontoinhaberin sich selbst so – auch rechtswirksam – „genderdistinkt“ zu bezeichnen, wie die Richterinnen u. Richter, bleibt ja ebenfalls unberührt.
    Und ein Politik-Prof sollte pWs sicher identifizieren bzw. von Anderem unterscheiden können.
    Dass das offenbar schon soweit nicht der Fall ist, das man nichtmal auf die Publizität verzichtet, wenn man schon im performativen Widerspruch zwischen Anspruch/Position/Bezahlung und Können sich befindet, mag die politische Sausefahrt in die „Unterwerfung“ bis ca. 2030 durchaus mit erklären.

    [Von einem pSw des BGH wäre allenfalls nur auszugehen, wenn Ablehnung von Eingaben, Schriftsätzen o. ä. wegen ‚falscher‘ Anrede/Bezeichnung einer R’in als „Richter“ rechtmäßig erfolgen könnte, – was wohl nicht der Fall ist/sein kann, weil „aus der objektiven Sicht eines verständigen Dritten“ dennoch klar sein dürfte, wer/was gemeint wäre, da das Geschlecht eines Richters genausowenig mit der Richterfunktion/dem Richteramt interferieren darf, wie die geschlechtsspezifische Behandlung von Personen in ihren Funktionen als Kunden, Kontoinhaber usw. das – zumindest nicht a priori, schon aufgrund des Gleichstellungsgebotes, – nicht tun darf.]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert