theorieblog.de | Politikwissenschaft – Krise, Zukunft?!

24. März 2017, Thiel

Die deutsche Politikwissenschaft plagen Selbstzweifel. Wie steht das Fach im öffentlichen Diskurs da? Wie gegenüber der Politik? Und wie im Vergleich zu anderen Disziplinen? Und wer ist schuld, wenn sich herausstellt, dass früher oder anderswo sicher alles besser war oder ist? Die öffentlich betriebene Nabelschau weckt – zumindest innerhalb der Zunft – viel Interesse. Meinung und Gegenmeinung werden mobilisiert, der Diskurs auch munter in die Institutionen wie die DVPW getragen. Das im April erscheinende Heft der Zeitschrift für Politikwissenschaft (ZPol) nimmt den Ball auf, gibt ihm aber noch einmal einen anderen Twist: Angefragt wurden 17 Beiträge von Vertreterinnen und Vertretern aller Teile der Disziplin und über die Senioritätslevel hinweg. Die Aufgabenstellung lautete: Formuliert kurz und knapp, was die nahe Zukunft – die nächsten fünf Jahre – mit dem Fach machen werden. Welche Eisberge harren der Umschiffung, welche Chancen müsste man nutzen?

Das Ergebnis ist erwartbar bunt: Die Schwerpunktsetzungen reichen von der Diskussion, ob das Fach gerade wegen seiner inhaltlichen und methodischen Pluralität stark ist (Uwe Jun), ob es nicht besser seine disziplinäre Identität herausarbeiten sollte, um interdisziplinär anschlussfähig zu sein (Herfried Münkler), oder ob man Ausdifferenzierung und Integration nicht durch eine stärkere Trennung von Forschung und Lehre balancieren könnte (Kai-Uwe Schnapp). Lehre ist auch ein Thema bei Monika Oberle, die an deren Bedeutung für die Gesellschaft erinnert. Der von Carlo Marsala geschriebene Beitrag fordert die Politisierung der Politikwissenschaft und hat schon vorab in einer Variation für die ZEIT für viele Diskussionen gesorgt. Auch Dirk Jörke verlangt nach einer für politische Kontexte sensibleren Politikwissenschaft, Sabine Manzel hingegen klagt ganz pointiert mehr „cojones“ ein, während Manfred G. Schmidt sarkastisch gegen Kleinteiligkeit und Drittmittellogik ätzt. Auch Internationalisierung wird mehrfach und kontrovers thematisiert, etwa bei Ton Nijhuis, der das Verblassen deutscher Besonderheiten (auch) als Schwäche diagnostiziert. Gabi Schlag und ich schließlich schütten noch aus einem anderen Fass Wasser in den Wein, wenn wir daran erinnern, dass Politikwissenschaft nicht nur Disziplin, sondern auch Beruf ist – und besser einer wäre (oder ein besserer wäre), wenn die Mehrheit der ihn Ausübenden weniger prekär von ihm leben könnten.

Wir nehmen die Veröffentlichung des ZPol-Forums zum Anlass, um unter dem Strich noch einmal die verschiedenen Beiträge der schon mehr als ein Jahr laufenden Debatte zu rekapitulieren und euch eine Übersicht über alle Beiträge des Sonderhefts zu geben.

Den Startschuss zum jüngsten Krisendiskurs gaben im Anschluss an den Duisburger DVPW-Kongress Frank Decker und Eckhard Jesse in der FAZ (Fach ohne Ausstrahlung). Es folgten Repliken, etwa von Hannah Bethke (FAZ-Artikel) und Sebastian Huhnholz (Theorieblog-Version seines FAZ-Artikels) sowie ein öffentlicher Facebook-Post von Thomas König (weitere Texte sind gesammelt auf einer Sonderseite der DVPW-Homepage). Schließlich die in den Blättern für deutsche und internationale Politik veröffentlichte Abschiedsvorlesung von Lothar Probst, in der dieser Politikwissenschaft und Politische Theorie davor warnte, zwischen Mathematisierung und Moralphilosophie zerrieben zu werden. Dann beruhigte es sich für einige Monate, bevor Nils Heisterhagen in der FR beklagte, dass der Demokratie die öffentlichen Denker fehlen und Carlo Marsalas ZEIT-Artikel erschien. Letzteren replizierte Ingo Rohlfing in einem Blog-Post.

Parallel zur deutschen Debatte entspann sich im Anschluss an den Wahlsieg Donald Trumps zudem eine internationale Debatte, die in den Zeitläuften die Chance bzw. Pflicht zum Relevant-Werden der Politikwissenschaft erblickt – etwa in Times Higher Education, in Wired oder in eingedeutschter Form bei uns mit Yascha Mounks Artikel „Was die Politikwissenchaft jetzt tun muss“ oder fachübergreifend-populär von Michael Hartung in der ZEIT.

Das im April erscheinende Heft 1/2017 der ZPol multiplizierte mit seinen Beiträgen noch einmal die Debatte. Die Beiträge im Einzelnen (leider mancherorts hinter Paywall):

Man darf gespannt sein, welche Wirkung es auf die Kaffeepausen kommender Konferenzen haben wird. Beteiligt Euch gerne auch in den Kommentaren.


Vollständiger Link zum Artikel: https://www.theorieblog.de/index.php/2017/03/politikwissenschaft-krise-zukunft/