Sondierungen. Tagungsbericht „Challenging the Banality of Racism“

Anlass des zweitägigen Workshops Challenging the Banality of Racism. Political Theory as Race Critical Theory (Okt. 2015, Gießen) war die Kritik an bestehenden Konzepten Politischer Theorie. Diese, so Mitveranstalterin Jeanette Ehrmann, seien nicht in der Lage den Einfluss der Kategorie ‚Rasse‘ zu reflektieren, zu analysieren und zu konzeptionalisieren. In der Folge versage die Disziplin der Politischen Theorie an dieser für die postfaschistischen und postkolonialen Gesellschaften fundamentalen Ordnungskategorie. Diese Leerstelle anzugehen war Ziel aller Beiträge.

Yoko Arisaka machte den Anfang mit Epistemologies of Ignorance. Race, Gender, and the Myth of Multiculturalism. Sie diskutierte das Versagen des Multikulturalismus an der Kategorie ‚Rasse‘ und erörterte die strukturelle Reproduktion von Rassismus als einer Form von Ungleichheit und Resultat materieller Bedingungen: von der historischen Formierung im Kolonialismus bis hin zur heutigen Wissensproduktion und -anerkennung. Multikulturalismus als politische Praxis und Theorie, so Arisaka, trage durch die falsche Perspektivverschiebung auf den Bereich der Kultur nur dazu bei, Rassismus unsichtbar zu machen, nicht aber dazu, ihn zu kritisieren.

Nadia Yala Kisukidi, die leider verhindert war, entwarf in ihrem zur Verfügung gestellten Vortragsmanuskript das Projekt einer Dekolonisierung der Philosophie aus Perspektive der Africana Philosophie. Die für Africana Philosophie konstitutiven Erfahrungen von Dehumanisierung, Versklavung, Kolonisierung und Rassifizierung zwängen zur Überprüfung des vermeintlich universalen Vernunftdenkens ohne dieses aber gänzlich verwerfen zu müssen. Kisukidi plädiert für eine Philosophie, in der es möglich ist, die Pluralität einer postkolonialen Welt zu denken und deren Institutionalisierung an diesem Gedanken neu ausgerichtet werden muss.

Der Vortrag Je suis Charlie von Nabila Abbas thematisierte die Entwicklung Frankreichs nach dem Attentat auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo. Dabei stand das Verhältnis von Laizismus und Islam im Zentrum. Mit Jacques Rancière kritisierte Abbas die Republik als eine wesentlich auf Ausschluss beruhende Form der Vergesellschaftung. Sie zeichnete nach, wie Denkfiguren der extremen Rechten in den Diskursen der Mitte anlangten und dort Fragen von Zugehörigkeit und Ungleichheit neu sortierten. Aktuelle Konflikte im postkolonialen Frankreich würden, so Abbas, zunehmend über den Ausschluss und die Stigmatisierung des Islam thematisiert.

Der erste Tag endete mit der Diskussion Challenging the Banality of Racism in Theory and Practice zwischen Felmon Davis, Eddie Bruce-Jones, Regina Kreide, Jeanette Ehrmann und Vanessa Eileen Thompson. Alle Beiträge widmeten sich Kolonialität als Strukturkategorie in Vergangenheit in Gegenwart.

Felmon Davis eröffnete mit dem Paradoxon der amerikanischen Gründungsgeschichte, eine freie demokratische Gesellschaft auf unfreier Sklav_innenarbeit aufgebaut zu haben. Er zog einen Bogen vom Slave Patroller der Plantage zu der rassistischen Polizeigewalt in den heutigen USA. Eddie Bruce-Jones erörterte am Beispiel von LGBTIQ Geflüchteten, wie durch rechtliche Praktiken ein diskursiver Raum eröffnet wird, in den aktivistische Praktiken zwar informiert intervenieren, den sie in der Regel aber nicht selbst neu bestimmen können. Gerade am Verständnis von Kolonialismus als Fluchtgrund würden die Differenzen von Aktivist_innen und Asylsuchenden zu Rechtspraxen deutlich, die Individuen strikt ahistorisch betrachten. Regina Kreide verwies auf die Thematisierung von Roma in europäischen Politik- und Sicherheitsdiskursen, in denen Roma nicht als Minderheit, sondern als „Problem“ auftauchten, dem mit neuer Versicherheitlichung begegnet würde. Jeanette Ehrmann sprach weiße Abwehrstrategien gegen die Thematisierung von ‚Rasse‘ und Rassismus an, die auch der Politischen Theoriebildung inhärent seien. Vanessa Eileen Thompson thematisierte zwei aktuelle Diskussionen, Why is my Professor not black? und Black Lives Matter – in Academia und analogisierte den Fluchtraum Mittelmeer als Black Mediterranean mit Paul Gilroys Black Atlantic.

Als übergreifendes Thema der nachfolgenden Diskussion stellte sich die Einschreibung weißer Abwehrstrategien in die Produktion von Wissen heraus, die von allen Redner_innen in ihren Statements auf verschiedene Weise bereits angesprochen worden waren. Die Abwesenheit Schwarzen und PoC („Person/People of Color“) Wissens als gestaltendes Element gesellschaftlicher Wissensproduktion ist dabei nur das Symptom der Abwesenheit der Schwarzen und PoC Wissensträger_innen selbst. Die Akademie wird als postkolonial strukturierter weißer Raum sichtbar, in dem die Refiguration etablierter Wissensbestände nicht nur eine neue wissenschaftliche, sondern zugleich auch eine aktivistische Praxis erfordert.

Der zweite Tag begann mit dem Vortrag von Eddie Bruce-Jones In the Shadow of the Law: Reflections on Race, Rights, and Legal Violence in Europe. Bruce-Jones beschäftigte sich mit Todesfällen in Polizeigewahrsam oder Haft und stellte den rechtlichen Rahmen der behördlichen Reaktionen in Deutschland und England vor. Er arbeitete heraus, dass die Untersuchung solcher Todesfälle in England institutionalisiert sei, in Deutschland aber von genau derselben Behörde untersucht würde, deren (Mit)Schuld in Haft in Frage stünde und verwies auf die Neuinterpretation von Polizeinarrativen durch aktivistische Interventionen.

Der letzte Vortrag des Workshops Towards a Liaison of the Philosophy and Sociology of Race: The Case of Black Solidarity wurde von Daniel James und Vanessa Eileen Thompson gemeinsam gehalten. Sie entfalteten darin das Projekt einer Schwarzen Solidarität, die nicht auf einem gemeinsamen identitären Selbstverständnis beruht, sondern auf der geteilten Erfahrung von Rassismus. Sie arbeiteten dazu mit Tommie Shelbys “thick and thin conceptions of blackness” und Sally Haslangers ameliorativem, philosophischen Ansatz am Beispiel des Pariser Kollektivs Brigade Anti-Negrophobie. James und Thompson entwarfen in einem rekonstruktiven Verfahren eine Solidaritätskonzeption, die nicht Grundlage von Solidarisierung und Aktionismus, sondern deren Resultat ist.

Der Workshop endete mit einer ausführlichen Diskussion um die Weiterführung der erarbeiteten Themen und Ansätze, die die offene und solidarische Diskussionskultur widerspiegelte. Es gab während des Workshops für die einzelnen Beiträge so viel Diskussionszeit wie selten, was sich äußerst positiv auf die Qualität und die Nachhaltigkeit der Diskussion auswirkte. Den Organisator_innen ist ein breit angelegter und sehr fundierter Aufriss der Thematisierung von ‚Rasse‘ in der Politischen Theorie gelungen. Eine weitere Zusammenarbeit verspricht, das Projekt der Dekolonialisierung von Wissen und Institutionen voranzutreiben und wissenschaftliche und aktivistische Praxis weiter miteinander ins Gespräch zu bringen. Bereits für zukünftige Treffen angedachte Themen umfassen die Begriffsgeschichte von ‚Rasse‘ in Deutschland nach 1945, die Universität als Institution von Ungleichheit und das Zusammenbringen von Rassismus-, Antiroma_ismus*- und Antisemitismusforschung. Im Verlauf des Workshops wurde deutlich, dass Politische Theorie von den Anwesenden als Wissenspraxis gedacht wurde. Die üblichen Grenzziehungen zu empirischer Forschung entfielen zugunsten einer Zentrierung auf das in der Politischen Theorie Vernachlässigte: die postkolonialen Gesellschaftsordnung als Struktur der Wirklichkeit.

 

* Der Unterstrich soll an dieser Stelle auf die Begriffsproblematik des gängigen Terminus ‚Antiz***ismus‘ verweisen, ohne den Anschein zu erwecken stattdessen eine ethnologisierende Kategorie einzusetzen.

 

Die Langversion des Tagungsberichts ist erschienen in der Zeitschrift für Politische Theorie (Jahrgang 6, Heft 2/2015, Leverkusen).

 

Matti Traußneck ist Politikwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg. Sie arbeitet zu Ungleichheiten im Kapitalismus, Globalgeschichte und Politischer Theorie.

 

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