Monitoring oder Kreativität? Alexander Weiß ZPTh-Artikel in der Diskussion

In der ersten Ausgabe 2012 der Zeitschrift für Politische Theorie schlägt Alexander Weiß vor, das Verarbeiten fachfremder Theorien innerhalb der Politischen Theorie (‘Monitoring’ ) methodisch zu hinterfragen. Im Rahmen unserer Kooperation mit der ZPTh (bisher erschienen: Kommentare zu Bernd Ladwig, Oliver Flügel-Martinsen, Steven Schäller, Oliviero Angeli) stellen wir Euch auch diesmal den Artikel exklusiv zum Download zur Verfügung. Unter dem Strich findet Ihr den Kommentar von Holger Zapf, der in die Diskussion einführt. Wir freuen uns auf eine lebhafte Diskussion, in der wie üblich auch der Autor auf Eure Fragen und Anmerkungen reagieren wird.

Monitoring oder Kreativität? Alexander Weiß ZPTh-Artikel in der Diskussion

Die Geschichte klingt verlockend: Wir haben bislang völlig aus den Augen verloren, dass die Subdisziplin der Politischen Theorie und Ideengeschichte nicht nur aus den beiden namengebenden Komponenten besteht, sondern auch – und das sogar „immer schon“ – eine dritte Komponente umfasst, für die Alexander Weiß im hier besprochenen Aufsatz den Namen „Monitoring“ vorgeschlagen hat. Diese Komponente stellt nicht nur eine Brücke zu den anderen Teilbereichen der Politikwissenschaft dar, sie versorgt die Politische Theorie darüber hinaus auch mit einer klar konturierten Identität, an der obendrein jede Frage nach Relevanz abperlen muss. An diesem Alleinstellungsmerkmal lässt Weiß keinen Zweifel: „Wir (kursiv i.O.) sind diejenigen, die fachfremde Theorien für die politikwissenschaftliche Forschung und Anwendung sichten, verstehen und aufbereiten können.“ (S. 45) Damit ist nun schon zusammengefasst, worum es beim Monitoring gehen soll. Ich werde die damit verbundenen Vorschläge und Überlegungen im Folgenden sortieren und kommentieren. Dabei wird es zunächst um die verschiedenen Tätigkeiten gehen, die der Begriff umfasst. In einem zweiten Schritt stellt sich die Frage, was aus Sicht der Politikwissenschaft und der Wissenschaftstheorie mit dem Konzept anzufangen ist. Abschließend werde ich noch einmal speziell auf die Perspektiven des Monitorings in der Politischen Theorie eingehen.

Wie das obige Zitat schon andeutet, ist die Tätigkeit des Monitoring mehrschichtig (für Weiß’ Definition vgl. S. 47). Der Begriff scheint zunächst auf das mehr oder weniger systematische Beobachten zu verweisen, das in etwa dem oben genannten ‚Sichten‘ entspricht. Weiterhin ist damit aber auch die ‚Aufbereitung‘ und anschließende Übertragung von relevanten Theorien gemeint. Wie genau das systematische Beobachten der fachfremden Theorieentwicklung aussehen könnte, bleibt zwar offen, doch gibt Weiß einen wertvollen Hinweis, der einiges an Potenzial für intellektuelle Genugtuung enthält: Monitoring sollte insbesondere dort stattfinden, wo Theorien bereits übernommen wurden, da die Tendenz besteht, die anschließenden fachfremden Theorieentwicklungen zu verpassen, weshalb vermeintlich innovative Kritik (etwa am homo oeconomicus) als altbacken und überholt enttarnt und mit den neueren Entwicklungen im Ursprungsfach kontrastiert werden kann – dies wäre der Kernpunkt eines „dynamischen Monitorings“ (S. 47). Viel mehr ist dann allerdings über das ‚Wie‘ der systematischen Beobachtung nicht zu erfahren – abgesehen davon, dass es dafür keine disziplinären Einschränkungen geben sollte.

Stärker qualifiziert wird dagegen der Prozess der Übertragung fachfremder Theorien, der unter dem Abschnitt über das „komplexe Monitoring“ diskutiert wird. Hier gibt es zwei Kriterien für gute Übertragungen, die knapp zusammengefasst werden können: Je abstrakter und je komplexer, um so besser. Eine Theorie sollte also möglichst ihrer Komplexität angemessen ‚importiert‘ werden, andernfalls – das zeichnet Weiß unter Rückgriff auf Luhmann anhand der Evolutionstheorie nach – drohen erhebliche Verwerfungen. Diese Qualitätskriterien werfen jedoch bedeutsame Fragen auf. Zum einen widerspricht die Forderung nach theorieadäquatem Transfer der Stoßrichtung, mit der Weiß sich zuvor der Import-Export-Metapher entledigt hatte, da sie fälschlich ein Containermodell des Theorietransfers impliziere. Genau dieser Container wird hier jedoch als Norm wieder eingeführt. Zum anderen wird eine importierte Theorie nicht notwendig dadurch besser, dass sie abstrakt und komplex importiert wird. So zeugen die im Umfeld von Werner Patzelt entstandenen Versuche, die Evolutionstheorie inklusive ihrer kulturellen Ausdeutung durch Richard Dawkins für die Politikwissenschaft zu adaptieren, von einer bemerkenswerten Elaboriertheit und Sachkenntnis. Nur macht sie das leider nicht besser, im Gegenteil drängt sich mitunter der Eindruck auf, dass diese Qualitäten in dogmatische Strenge umschlagen, die dem heuristischen Potential im Wege stehen.

Kommen wir nun zum zweiten Punkt – wie ist das Monitoring aus wissenschaftstheoretischer und politikwissenschaftlicher Sicht einzuschätzen? Zunächst einmal: Es ist kaum davon auszugehen, dass das Monitoring, wie Weiß behauptet, „weite Teile unserer Tätigkeit“ prägt (S. 46). Ein Fach, auf das so ein Statement zutreffen würde, hätte entweder sein Profil völlig verloren – oder es würde dieses intensive Monitoring aus dem Grund betreiben, dass es für seinen Gegenstand bislang einfach keine befriedigenden Theorien gefunden hat. Das entspricht im Übrigen auch der Logik der Forschung: Theorieimporte ebenso wie die vielzitierten Paradigmenwechsel sind dort von Interesse, wo die vorhandenen Theorien (schon über den Lakatosschen Randbereich hinaus) als unzureichend erkannt oder diskreditiert wurden. Das zeigt sich auch wissenschaftsgeschichtlich, und hier sind weder Darwin noch Downs die Ausnahme, sondern entsprechen vollständig der Regel. Dass diese Autoren anschlussfähige, für ihren Bereich fruchtbare Theorien herangezogen haben, ist letztendlich ein Zufall, der nicht auf die systematische Beobachtung anderer Wissenschaftsbereiche zurückzuführen ist, sondern mit Kreativität und Inspiration zu erklären ist (und darin dürfte auch der Grund dafür liegen, dass Theorietransfer in der Wissenschaftstheorie – nicht jedoch in der Wissenschaftsgeschichte – stiefmütterlich behandelt wurde). Gerät man in der Forschung in eine theoretische Sackgasse, so kann man Monitoring allein schon aus dem Grund nicht im engeren Sinne ‚systematisch‘ betreiben, weil man nicht weiß, wonach man sucht. Die (kreative) Antwort kann jedenfalls immer auch in einer dramatischen Verkürzung der rezipierten Theorie bestehen – doch das muss ihren Erfolg und ihre Leistungsfähigkeit nicht notwendig schmälern.

Dieser wissenschaftstheoretische Aspekt führt unmittelbar zu einem pragmatischen Problem, das es als ausgesprochen zweifelhaft erscheinen lässt, ob die Politische Theorie tatsächlich der richtige Ort für das Sichten, Verstehen und Aufbereiten fachfremder Theorien ist: Als hochspezialisierte Wissenschaftler*innen haben wir schlicht und ergreifend keinen Überblick über theoretische Desiderate in den verschiedenen Subdisziplinen des Faches. Vielleicht könnten der Parteienforschung fruchtbare neue Perspektiven eröffnet werden, wenn sie sich mit Saussures Sprachtheorie befassen würde – aber ich werde den Teufel tun und das vorschlagen ohne zu erahnen, ob es hierfür überhaupt einen Bedarf gibt oder ob das Feld theoretisch saturiert ist. Auch ist es völlig unmöglich, ohne genaue Kenntnis der empirischen Problemlagen zu bestimmen, welches Komplexitätsniveau von der Saussureschen Theorie zu einer Bearbeitung des Problems am besten beiträgt – vielleicht führt die Grundidee viel weiter als eine komplexe Rekonstruktion des Theorieapparates.

Meines Erachtens wäre es daher schließlich auch ein Irrtum, etwa die Rezeption von fachgeschichtlich primär ökonomischen Ansätzen wie der Theorie rationaler Wahl dem politikwissenschaftlichen Teilbereich der Politischen Theorie zuzuschlagen. Geleistet wurde diese Rezeption nämlich wesentlich durch die anderen Teilbereiche, die einen Bedarf für entsprechende Theorieimporte an sich selbst diagnostiziert haben – und nur, weil es dabei um Theorien geht, die für die Analyse politischer Phänomene fruchtbar gemacht werden sollten, kann kaum behauptet werden, dass das Fach Politische Theorie diese Importe geleistet hätte. Downs, Riker, Ordeshook, Waltz oder Axelrod dürften den meisten jedenfalls kaum als Politiktheoretiker im ‚klassischen‘ Sinne gelten. Mit der Behauptung, Monitoring sei eine genuine Aufgabe Politischer Theorie und zugleich relevant für die Politikwissenschaft insgesamt, ist für die Politische Theorie jedenfalls nichts gewonnen – außer, dass sie sich einmal mehr mit messianischem Gestus an den Rest des Faches wendet und dabei letztlich doch nur um Anerkennung bettelt.

Wie also weiter mit dem Monitoring? Die Politische Theorie sollte sich ihm durchaus intensiv widmen – aber sich dabei um die eigenen Probleme kümmern. Warum sollte die Ideengeschichte bei der Textinterpretation etwa nicht von psychologischen Theorien profitieren? Könnten wir normative Aussagen nicht vielleicht auch dadurch aufwerten, dass wir ihre Konstruktion ästhetischen Regeln aus der Musiktheorie oder der Architektur unterwerfen? Warum entwickeln wir keine Labore, in denen die Überzeugungskraft von Argumenten in Analogie zu naturwissenschaftlichen Experimenten untersucht wird? Sicher, ich phantasiere hier nur, doch kennt Monitoring keine Denkverbote. Wie der Linksluhmannianer Weiß richtig festhält (S. 54), kann Politische Theorie durch die fröhliche Pluralisierung von Selbstbeschreibungen, durch die Schaffung von radikal neuen Beschreibungsmöglichkeiten die Gesellschaft verändern. Mindestens das kann Monitoring leisten – obwohl ich es letztlich doch lieber unter den allgemeinen Begriff der Kreativität subsumieren würde, da er diesem durch die Politische Theorie auf systematische Weise erzeugten Chaos von Ideen besser Rechnung trägt und ohne die Bürde präventiver Rechtfertigung des eigenen Tuns auskommt.

Holger Zapf ist akademischer Rat am Institut für Politikwissenschaft der Universität Göttingen

Ein Kommentar zu “Monitoring oder Kreativität? Alexander Weiß ZPTh-Artikel in der Diskussion

  1. Lieber Alexander, lieber Holger,

    Vielen Dank für diese ungemein zeitgemäße methodologische Diskussion, die wohl umso wichtiger für die Politische Theorie werden dürfte, je poröser die disziplinären Grenzen zu anderen Fächern werden. Ich habe zwei Anmerkungen, die ich im Folgenden in die Diskussion einbringen möchte (und deshalb wechsele ich von der persönlichen Anrede in die ‚unpersöhnlichere‘ Wissenschaftssprache). Diese betreffen erstens Weiß Versuch, mit seiner Bestimmung des ‘guten’ Monitoring einen performativen Widerspruch in seiner Argumentation zu umgehen, wobei diese Bestimmung nach meiner Einschätzung zweitens so stark ideengeschichtlich geprägt ist, dass sich die analytische Trennung zwischen den drei Fachbereichen Politische Theorie, Ideengeschichte und Monitoring nicht aufrecht erhalten lässt (43). Mit anderen Worten: die Lösung des ersten Problems (Vermeidung des performativen Widerspruchs) wird nolens volens selbst zum Problem, da sie die von Weiß geforderte analytische Trennung der Subdisziplinen untergräbt.

    Die Ausgangslage ist schnell erklärt. Einerseits möchte Weiß nicht kategorisch festlegen, was als angemessenes oder unangemessenes Theoriemonitoring zu beurteilen ist (54), andererseits zwingen ihn seine Forderung nach ‘gutem’ Monitoring und seine Ausführungen, was als solches anzusehen ist, gerade zu einer Festlegung dessen, was als angemessene und unangemessene Theorieanwendung gelten kann. Weiß versucht dem drohenenden Widerspruch zu entgehen, indem er durch die Pluralisierung der “Sprachspiele” (54), die seine Bestimmung des guten Monitorings ermöglichen soll, von vornherein das Ziel einer einzig ‘richtigen’ oder angemessenen Theorieanwendung ausschließt. Doch diese Strategie hat ihren Preis, da die Bestimmung des guten Monitorings zum einen weniger ‘offen’ und pluralistisch ist, als Weiß dies eingesteht, und zum anderen die analytische Trennschärfe zwischen den drei Bereichen aufhebt.

    Wie also bestimmt er ‚gutes‘ Monitoring? Gutes Monitoring versorge das Fach mit der “Geschichte der (assimilierten) Theorie und insbesondere mit ihren Weiterentwicklungen im Ausgangsfach” (42). Dabei unterscheidet er zwei Formen—‘dynamisches’ und ‘komplexes’ Monitoring–, wobei ich mich hier vor allem auf Ersteres konzentriere, da Weiß hierzu spezifischere Angaben macht. Dynamisches Monitoring zeichne sich, so Weiß, durch das Wahrnehmen der 1) fachfremden Theorie, 2) des disziplinären Kontexts und der 3) fachhistorischen Theorie-Entwicklung aus (48).

    Doch insbesondere Wahrnehmung zwei und drei scheinen mir von ideengeschichtlichen Grundannahmen durchzogen zu sein, die normative TheoretikerInnen ablehnen würden. Wenn normative TheoretikerInnen fachfremde Theorien absorbieren, verwenden sie i.d.R. wenig Energie darauf, die Geschichte der Theorie im Ausgangsfach zu rekonstruieren. Im Gegenteil: sie sehen diese ‘rückwärtsgewandte’ Perspektive eher als lästiges Hindernis. Schließlich geht es ihnen vor allem darum, die Theorie im Hier und Jetzt produktiv zu nutzen, meistens in Anwendung auf eine aktuelle politiktheoretische Debatte. Während ich Weiß somit in seinem Befund zustimme, dass vor allem IdeengeschichtlerInnen bei Theorieanwendungen bereits Monitoring leisten, kann ich das bei normativen TheoretikerInnen nur in Ansätzen, wenn überhaupt, erkennen.

    Nun könnte man natürlich einwenden, dass normative TheoretikerInnen Nachholbedarf in Sachen Monitoring hätten und dass Monitoring so aussehen sollte, wie Weiß beschrieben hat. Doch damit wäre die analytische Unterscheidbarkeit und Eigenständigkeit des Aufgabenbereichs ‚Monitoring‘, die er einfordert, nicht mehr gegeben (43).

    So verallgemeinernd von Ideengeschichte zu sprechen ist natürlich fahrlässig und sicherlich ist in der historisch-linguistischen Ideengeschichte à la Skinner der Fokus auf Kontextualisierung fachfremder Theorien ausgeprägter als etwa bei StraussianerInnen. Das scheint mir bei genauerer Betrachtung dieser Ansätze allerdings ein Trugschluss zu sein. Die Frage, was als der angemessene Kontext der fachfremden Theorie anzusehen sei, würde zum Disput zwischen beiden ideengeschichtlichen Theorieansätzen führen, nicht jedoch die Frage, ob das Wahrnehmen der Theoriegeschichte kontextabhängig zu leisten sei.

    Ich stimme Weiß also zu, dass Monitoring wohl schon immer Teil unseres Faches war, sofern IdeengeschichtlerInnen neben der Theorieproduktion in der Vergangenheit auch Theorie-Assimilationen mit ‚geschichtlichem Gespür‘ vornehmen. Jedoch ist es nach meiner Einschätzung problematisch, wenn ideengeschichtlich-geprägtes und von IdeengeschichtlerInnen bereits praktiziertes Monitoring als eigenständiger Bereich deklariert werden soll, da die Schnittmenge zwischen den drei wesentlichen Bestandteilen des von Weiß vertretenen Monitoring und der Ideengeschichte zu groß sind, als dass diese Vorstellung des Monitoring von normativen TheoretikerInnen akzeptiert werden könnte.

    Im Prinzip spricht jedoch nichts dagegen, dass Weiß das von mir geschilderte Problem der Dissonanz zwischen seiner Konzeption des Monitoring und der normativen Politischen Theorie ebenso umgeht, wie den eingangs erwähnten performativen Widerspruch. Doch wäre ein solcher Versuch ohne eine Revision seiner Konzeption wohl nicht zu leisten.

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