theorieblog.de | Hannah Arendt: Politisches Denken auf der Leinwand

31. Januar 2013, Weißpflug

Kann man politisches Denken verfilmen? Als ich zum Kinostart von Margarethe von Trottas Film über Hannah Arendt in einem Interview mit der Regisseurin las, sie habe nicht einfach das Leben der politischen Theoretikerin verfilmen, sondern ihr Denken auf die Leinwand bringen wollen, habe ich mich gefragt, ob das überhaupt gelingen kann: Theorie zu verfilmen. Nicht ohne Grund sind Darstellungen von Philosophen in der Filmgeschichte überaus selten. Wer kennt schon „Flucht ins Exil“ (1978) über Rousseau? Dann gibt es noch „Iris“ (2001) über Iris Murdoch, doch erzählt der Film eher die Geschichte ihrer Alzheimererkrankung. Sergei Eisenstein scheiterte grandios bei dem Versuch, „Das Kapital“ zu verfilmen (wie bei Alexander Kluge zu erfahren) und auf eine cineastische Würdigung von Rawls oder Habermas werden wir wohl ewig warten müssen. Doch ganz im Ernst: Von Trotta ist es überraschend gut, streckenweise gar meisterhaft gelungen, Arendts Denken in die Sprache des Films zu übersetzen (I). Zwei Kritikpunkte an der Darstellung dieses Denkens möchte ich dennoch formulieren (II).

I.
Margarethe von Trotta beschränkt die Darstellung auf die Zeit um den Prozess gegen Adolf Eichmann, der 1961 in Israel stattfand. Der Film beginnt mit Eichmanns Entführung aus Argentinien durch den Mossad. Hannah Arendt liest davon in der Zeitung und hat die Idee, der Zeitschrift The New Yorker anzubieten, direkt vom Prozess aus Jerusalem zu berichten (daraus ist dann auch Arendts bekanntes Buch „Eichmann in Jerusalem“ entstanden). Um das Denken Arendts darzustellen, hat von Trotta mit dem Eichmann-Prozess eine gute Wahl getroffen: Die Auseinandersetzung mit dem Prozess und die sich daran anschließende Kontroverse stellt einen wichtigen Abschnitt auf dem Denkweg Arendts dar.


Hannah Arendt (Barbara Sukowa) im Pressesaal während des Eichmann-Prozesses in Jerusalem © Véronique Kolber

Arendt wollte, nachdem sie sich intensiv mit den nationalsozialistischen Verbrechen und dem Phänomen der totalen Herrschaft auseinandergesetzt hatte, die Chance nicht verpassen, einem der Haupttäter „in the flesh“ zu begegnen, um sich mit dem „radikal Bösen“, wie sie es in ihrem Buch „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ genannt hatte, zu konfrontieren. Zudem interessierte Arendt der juristische Umgang mit den völlig neuartigen Verbrechen und die Frage, unter welchen Bedingungen und in welchem Rahmen angesichts dieser Taten Gerechtigkeit hergestellt werden könne.
Die These von der Banalität des Bösen resultiert bei Arendt aus der Konfrontation ihrer Erwartung, einem dämonischen Täter zu begegnen, mit dem tatsächlichen Eichmann und seiner „offenbaren Seichtheit“. Hier klafft plötzlich ein Abgrund zwischen dem Täter und der Ungeheuerlichkeit seiner Taten – und Arendt kommt der Verdacht, dass dieser Mangel an Reflexion und die Unfähigkeit, sich die Folgen seiner eigenen Handlungen vorzulegen, etwas ist, das nicht mehr mit der traditionellen Vorstellung verbrecherischer Handlungen, oder, zugespitzter gesagt, des Bösen in Einklang zu bringen ist. Im Film ist gut zu beobachten, wie Arendt zu dieser Erkenntnis gelangt – und wie sehr sie selbst von der fehlenden Monstrosität Eichmanns zunächst irritiert und erschüttert ist. Wäre es nicht beruhigender, wenn Eichmann vor Gericht hätte erkennen lassen, aus ideologischer Überzeugung gehandelt zu haben, wenn er eigene Motive für seine Taten dargelegt hätte, wenn er sich als glühender Antisemit präsentiert hätte? In Arendts Augen war die Tatsache, dass er dies nicht tat und dass er stattdessen seine Rolle auf die des willenlosen Rädchens im Getriebe reduzierte, sehr viel erschreckender. Dieses Erschrecken ließ Arendt dann ganz unerschrocken auf ihre Freunde und, mit dem Erscheinen ihres Berichts im New Yorker, auf die Öffentlichkeit los. In der neueren Forschung zu Eichmann ist, das muss man dazu sagen, Arendts These von der Gedankenlosigkeit Eichmanns heftig umstritten (zu nennen sind hier z.B. die Bücher von Bettina Stangneth und Irmtrud Wojak). In einigen Rezensionen (etwa in der Zeit) wird dem Film vorgeworfen, unseren heutigen Diskussionsstand nicht angemessen zu berücksichtigen. Doch ist nicht nachvollziehbar, warum der Arendt-Film auf diese neueren Eichmann-Deutungen hätte eingehen sollen. Was den Film in meinen Augen so stark macht, ist nicht so sehr, Arendts These von der Banalität des Bösen zu entwickeln, sondern ihre Praxis des politischen Denkens darzustellen. Arendt war bereit, den anderen die Erkenntnis, die sie für sich gewonnen hatte, zuzumuten – ohne Rücksicht auf mögliche Reaktionen. Diese Unabhängigkeit ist ein wesentlicher Zug von Arendts politischer Theorie.

Von Trotta wählt für ihren Film nicht nur eine Schlüsselphase in Arendts Theorieentwicklung aus, sie macht das Denken selbst zum Leitmotiv des Films, das auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen filmischen Mitteln zur Darstellung kommt. Auf der vielleicht unmittelbarsten Ebene, der Ebene der Bilder, zeigt von Trotta Hannah Arendt als Denkende: im gedimmten Licht rauchend auf der Chaiselongue in ihrer New Yorker Wohnung, rauchend auch bei einsamen Waldspaziergängen.


Hannah Arendt (Barbara Sukowa) © Heimatfilm

Auf der Ebene des filmischen Erzählens erfahren die Zuschauer Arendt als streitbare Denkerin: in der Wohnung am Riverside Drive, wenn die Mitglieder des „tribes“, Arendts und Blüchers Freundeskreis, leidenschaftlich über die Ereignisse und ihre Deutung streiten, vor allem aber in den exemplarischen Geschichten der Freundschaften, die an der Kontroverse in die Krise geraten oder zerbrechen: Kurt Blumenfeld und Hans Jonas. Von Trotta wendet hier eine Montagetechnik an, indem sie Arendts Dialoge mit ganz unterschiedlichen Personen ihren Filmprotagonisten in den Mund legt, etwa die in Briefen geführte Auseinandersetzung mit Gershom Scholem über ihre fehlende Liebe zum jüdischen Volk, die von Trotta im Film zwischen ihr und Blumenfeld stattfinden lässt. Diese künstlerische Zuspitzung geht zwar zu Lasten der historischen Exaktheit, führt aber zu einer pointierten Darstellung von Arendts Haltung im Denken: Mutig die Wahrheit sagen, wie sie einem erscheint, doch diese Wahrheit nicht über ihre Freundschaften zu stellen, streiten zu können und trotzdem befreundet zu bleiben – „Jetzt nicht streiten!“ sagt sie zu Blumenfeld an seinem Krankenbett. Der Film macht jedoch auch deutlich, dass Arendt mit ihrer Haltung, mit diesem Ethos des unabhängigen Denkens viele in ihrem Umfeld überforderte – Freunde wie Feinde.

II.
Während es von Trotta gelingt, die Spannung zwischen dem Mut, die Wahrheit zu sagen, und der Treue zu Freunden vortrefflich darzustellen, fehlt eine andere Zutat der Unabhängigkeit in Arendts Haltung fast völlig: das befreiende Lachen (wie Karl Jaspers es nannte, der im Film übrigens nicht vorkommt). Die Film-Arendt ähnelt darum an vielen Stellen einer anderen Heldin, deren Leben und Wirken von Trotta verfilmt hat: Rosa Luxemburg. Sie ist kämpferisch, scharfzüngig (köstlich, wie Arendt William Shawn, den Editor des New Yorker, am Telefon abbügelt, als dieser die Abgabe des Artikels einfordern will), zuweilen aber auch etwas verbissen. Damit aus dem Ethos kein Pathos und keine falsche Betroffenheit wird, ist das Lachen allerdings eine unersetzbare Zutat. Und Arendt hat schallend gelacht, als sie über den Jerusalemer Gerichtsakten brütete. Dem befremdlichen Lachen keinen Stellenwert im Film zu geben, heißt darum auch, die Provokation und die tatsächliche Zumutung, die in Arendts Denken liegt, zu verkleinern.
Auch an einer anderen Stelle führt die künstlerische Reduktion und Zuspitzung des Leitmotivs zu einer unangemessenen Verkleinerung von Arendts Unabhängigkeit im Denken – diesmal offensichtlich entgegen von Trottas Intention. In vielen Szenen, in denen Arendt beim Denken gezeigt wird, setzt von Trotta das filmische Mittel der Rückblende ein: Wenn Sie rauchend auf der Chaiselongue liegt, rauchend durch die Wälder um ihr Ferienhaus in den Catskills stapft, folgt ein unweigerlicher flashback und wir sehen Arendt und Heidegger, ihren Philosophieprofessor – zumeist mit dem Denken befasst. Die Rückblenden suggerieren nicht nur, dass Arendt sich an Heidegger orientierte und von ihm abhängig blieb, wenn es ums Denken ging. Die leitmotivische Verkürzung, die man auf die Formel bringen könnte: ‚Heidegger, bei dem Arendt das Denken lernt, Eichmann, der nicht denken kann’, führt auch zu einer seltsamen Schieflage und Verharmlosung Heideggers (Micha Brumlik argumentiert in seiner Rezension ganz ähnlich), die nur in einer einzigen, wenn auch großartigen Szene korrigiert wird. In dem gelungenen Wald-Dialog zwischen Arendt und dem gealterten Heidegger wirft sie ihm an den Kopf, ihr sei bei seiner Rektoratsrede speiübel geworden, und verlangt eine Erklärung für sein Verhalten. Doch der Hüter des Seyns versteht partout nicht, worum es geht, sondern faselt nur davon, sich von nun an im Denken stärker um das Politische bemühen zu wollen. Es ist jedoch genau dieser Mangel an Urteils- bzw. Vorstellungskraft, der Heidegger mit Eichmann verbindet: sich nicht vorstellen zu können, welche Folgen das eigene Handeln für andere Menschen hat. Wenn er sich dies je vor Augen geführt hätte, hätte Heidegger vor Arendt, die nur mit viel Glück und Mut den Nazis entwischen konnte, eigentlich im Boden versinken, sich erklären, um Verzeihung bitten müssen. Doch nichts von dem passierte (dies ähnelt übrigens sehr der Wald-Szene, die Celan mit Heidegger erlebte), weder hier noch in der Öffentlichkeit bringt Heidegger ein Wort der Erklärung über sich.
Der Unterschied zwischen Arendt und Heidegger in ihrer Haltung zur Welt ist also viel größer als die verträumten Rückblenden uns nahelegen. Das politische Denken Arendts ist nicht das Denken Heideggers, es stammt – bei aller bleibenden Verbundenheit Arendts mit ihrem ehemaligen Geliebten – nicht einmal von diesem ab. Arendts Denken findet in der Welt statt, es ist damit im Kern politisch. Heidegger empfing zuletzt nur noch diejenigen auf seiner Hütte, die ihn unkritisch anbeteten. Dass Arendt Heidegger die Treue hielt und sein Bild, wie im Film zu sehen ist, stets auf ihrem Schreibtisch stand, ist in diesem Lichte kein Zeichen einer lebenslangen Abhängigkeit, sondern ihrer Unabhängigkeit im Denken.


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