theorieblog.de | Gibt es gute Gründe gegen das griechische Referendum?

2. November 2011, Voelsen

Nachdem uns letzte Woche noch erklärt wurde, dass Merkel und Sarkozy den Euro gerettet hätten, steht nun vermeintlich wieder alles auf dem Spiel. Der griechische Ministerpräsident Papandreou hat am Montag verkündet, über die von der EU beschlossenen Maßnahmen die Griechen in einem Referendum entscheiden zu lassen. Die deutsche Bundesregierung zeigt sich konsterniert, „die Finanzmärkte“ reagieren übellaunig und gleich steht fest: stimmen die Griechen gegen die EU-Maßnahmen, müssen sie die EU verlassen. Doch so einstimmig die ersten Reaktionen ausfielen, so zweifelhaft ist, ob sie gut begründet sind.

Ein Argument lautet, dass das Ergebnis des Referendums nicht nur die Griechen selbst, sondern eben ganz Europa betrifft. Doch wie auch Max Steinbeis im Verfassungsblog argumentiert, betrifft das Referendum letztlich auch die Frage, ob die Griechen unter diesen Bedingungen Mitglied der Eurozone bleiben wollen. Wollen Sie dies nicht, hat das möglicherweise massive Auswirkungen für den Rest der EU, dennoch muss diese Entscheidung den Griechen überlassen werden.

Ein weiteres, selten so offen geäußertes Argument läuft auf eine allgemeine Skepsis gegenüber Referenden hinaus. Die Befürchtung hier ist schlicht, dass die Griechen sich „falsch“ entscheiden werden, dass sie sich gegen den Weg entscheiden werden, den der Rest Europas für sie vorgesehen hat. Dass dieses Argument selten so offen formuliert wird, hat einen Grund, ist es doch in hohem Maße undemokratisch. Auch wenn man überzeugt davon ist, dass die Beschlüsse des EU-Gipfels der letzten Woche die beste Lösung für Griechenland bieten, muss man akzptieren, dass die Griechen sich in demokratischen Verfahren dagegen entscheiden.

Die von den europäischen Regierungen bevorzugte Alternative scheint darin zu bestehen, dass die Regierung Griechenlands weitere drastische Maßnahmen gegen den Willen immer größerer Teile der Bevölkerung durchsetzt. Formal wäre die griechische Regierung hierzu wohl legitimiert, zumal sie wahrscheinlich auf die zähneknirschende Zustimmung des Parlaments setzen würde. Doch ist zum einen zu bezweifeln, dass dies noch die Art von Demokratie ist, die Europa sich ansonsten gerne auf die Fahne schreibt. Zum anderen ist die Frage, wie lange die demokratischen Institutionen Griechenlands eine solchen Druck überhaupt aushalten würden. Bei Crooked Timber findet sich der Hinweis auf Umfragen, wonach nicht nur die griechische Regierung, sondern auch die größte Oppositionspartei immer mehr an Zustimmung verliert. Ein Nicht-Reagieren der Regierung auf den enormen Widerstand in der eigenen Bevölkerung würde vor diesem Hintergrund möglicherweise zu einer massiven Abkehr von demokratischen Verfahren führen.

Vielleicht habe ich etwas übersehen, und es gibt ein gutes Argument gegen das griechische Referendum. Bis jetzt scheint mir jedoch, dass die Risiken für den Rest der EU nicht eine Beschneidung der demokratischen Rechte der Griechen rechtfertigen, dass umgekehrt aber das Referendum für das Fortbestehen der griechischen Demokratie von enormer Bedeutung ist. Hier schließe ich mich noch einmal Max Steinbeis und in gewisser Weise auch ähnlichen Überlegungen von Habermas (etwa im Kontext der Referenden zur EU-Verfassung) an: Durch das Referendum wird die Zukunft Griechenlands wieder zu einer politischen Frage, über die in demokratischen Verfahren gestritten werden kann.


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