Gibt es gute Gründe gegen das griechische Referendum?

Nachdem uns letzte Woche noch erklärt wurde, dass Merkel und Sarkozy den Euro gerettet hätten, steht nun vermeintlich wieder alles auf dem Spiel. Der griechische Ministerpräsident Papandreou hat am Montag verkündet, über die von der EU beschlossenen Maßnahmen die Griechen in einem Referendum entscheiden zu lassen. Die deutsche Bundesregierung zeigt sich konsterniert, „die Finanzmärkte“ reagieren übellaunig und gleich steht fest: stimmen die Griechen gegen die EU-Maßnahmen, müssen sie die EU verlassen. Doch so einstimmig die ersten Reaktionen ausfielen, so zweifelhaft ist, ob sie gut begründet sind.

Ein Argument lautet, dass das Ergebnis des Referendums nicht nur die Griechen selbst, sondern eben ganz Europa betrifft. Doch wie auch Max Steinbeis im Verfassungsblog argumentiert, betrifft das Referendum letztlich auch die Frage, ob die Griechen unter diesen Bedingungen Mitglied der Eurozone bleiben wollen. Wollen Sie dies nicht, hat das möglicherweise massive Auswirkungen für den Rest der EU, dennoch muss diese Entscheidung den Griechen überlassen werden.

Ein weiteres, selten so offen geäußertes Argument läuft auf eine allgemeine Skepsis gegenüber Referenden hinaus. Die Befürchtung hier ist schlicht, dass die Griechen sich „falsch“ entscheiden werden, dass sie sich gegen den Weg entscheiden werden, den der Rest Europas für sie vorgesehen hat. Dass dieses Argument selten so offen formuliert wird, hat einen Grund, ist es doch in hohem Maße undemokratisch. Auch wenn man überzeugt davon ist, dass die Beschlüsse des EU-Gipfels der letzten Woche die beste Lösung für Griechenland bieten, muss man akzptieren, dass die Griechen sich in demokratischen Verfahren dagegen entscheiden.

Die von den europäischen Regierungen bevorzugte Alternative scheint darin zu bestehen, dass die Regierung Griechenlands weitere drastische Maßnahmen gegen den Willen immer größerer Teile der Bevölkerung durchsetzt. Formal wäre die griechische Regierung hierzu wohl legitimiert, zumal sie wahrscheinlich auf die zähneknirschende Zustimmung des Parlaments setzen würde. Doch ist zum einen zu bezweifeln, dass dies noch die Art von Demokratie ist, die Europa sich ansonsten gerne auf die Fahne schreibt. Zum anderen ist die Frage, wie lange die demokratischen Institutionen Griechenlands eine solchen Druck überhaupt aushalten würden. Bei Crooked Timber findet sich der Hinweis auf Umfragen, wonach nicht nur die griechische Regierung, sondern auch die größte Oppositionspartei immer mehr an Zustimmung verliert. Ein Nicht-Reagieren der Regierung auf den enormen Widerstand in der eigenen Bevölkerung würde vor diesem Hintergrund möglicherweise zu einer massiven Abkehr von demokratischen Verfahren führen.

Vielleicht habe ich etwas übersehen, und es gibt ein gutes Argument gegen das griechische Referendum. Bis jetzt scheint mir jedoch, dass die Risiken für den Rest der EU nicht eine Beschneidung der demokratischen Rechte der Griechen rechtfertigen, dass umgekehrt aber das Referendum für das Fortbestehen der griechischen Demokratie von enormer Bedeutung ist. Hier schließe ich mich noch einmal Max Steinbeis und in gewisser Weise auch ähnlichen Überlegungen von Habermas (etwa im Kontext der Referenden zur EU-Verfassung) an: Durch das Referendum wird die Zukunft Griechenlands wieder zu einer politischen Frage, über die in demokratischen Verfahren gestritten werden kann.

11 Kommentare zu “Gibt es gute Gründe gegen das griechische Referendum?

  1. Bin so weit einverstanden. Trotzdem bleibt das Problem, dass auch ein Referendum zwischen den Szenarien (1) wir kürzen weiterhin, dass es ohrenbetäubend quietscht und (2) wir weisen die „Rettungspolitik der EU zurück“ letztlich auf eine Wahl zwischen Pest und Cholera hinausläuft.
    Mit Szenario (1), also der Fortsetzung der Austerität erwartet die GriechInnen noch mehr Arbeitslosigkeit, weitere Deinstrialisierung, Brain Drain durch Auswanderung der qualifiziertesten Erwerbstätigen und Ausverkauf ihrer öffentlichen Infrastruktur… bei Szenario (2), einem Austritt aus der Euro-Zone und faktischem Schuldenschnitt erwartet die GriechInnen eine Pleiteserie des eigenen Bankensystems, bei dem ein beträchtlicher Teil der Schulden liegt, massive Kapitalflucht und daraus resultierend Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit… sounds familiar?
    Es hilft nur noch ein Marshallplan mit massiven Investitionen, den die >Troika< aufbringen muss, ansonsten steht auf dem griechischen Wahlzettel either way der "Weg zur Knechtschaft" – in Form eines Urlaubsparadieses, das um jeden Cent kämpft, das die TouristInnen dort lassen…

  2. @Alban: Interessant finde ich in dem Zusammenhang auch den Hinweis von Henry Farrell bei Crooked Timber, dass allem Getöse zum trotz ein Nein der Griechen nicht zwangsläufig zum Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone führen müssen, sondern vielleicht auch neue Verhandlungen anstößt, die stärker in die Richtung gehen, die du angedeutet hast.

  3. Ein stattliches Gegenargument, welches Papandreou’s Zug, nun doch sein eigenes Volk zu befragen, in Zweifel zieht, dürfte wie folgt lauten: Papandreou wusste ja bereits seit Monaten, dass ein überwiegender Teil der Griechen seiner Politik nicht zustimmt. Statt sich auf diese Kritiken einzulassen und das Gespräch zu suchen, wurde mit massivem Polizeieinsatz gegen die Demonstrierenden vorgegangen. Nach außen hin sollte das signalisieren: „Hallo, ich bin ein vertrauensvoller Partner!“ – samt überstandenem Misstrauensvotum im Parlament. Daraufhin floss bereits eine Menge Kohle nach Griechenland, und zwar aus allen möglichen Töpfen. Jetzt, zu einem Zeitpunkt als die Verhandlungen zumindest eine Lösung suggerieren, das Plebiszit auf die Agenda zu setzen, finde ich: politisch verantwortungslos. Das bedeutet nicht, dass ich deine Argument für mehr Demokratie nicht teile – ich teile sie voll und ganz -, aber wenn man sich, wie Papandreou, auf diese Verhandlungslogik mit EU, IWF etc. einlässt, den politischen Leader Griechenlands spielt, die massiven Proteste bei der eigenen politischen Positionsbestimmung monatelang ignoriert und dann – auf einmal – auf vermeintlich „echte“ demokratische Verfahren, sprich den Volksentscheid, sich einlassen will, dann ist das nur ein wenig mehr als Populismus.

  4. mein Argument wäre, dass „die Griechen“ auch über das Schicksal von Bevölkerungsgruppen abstimmen, denen in der „südlichen Peripherie“. Die folgen eines griechischen Neins auf Spanien, Portugal etc ist wohl kaum abzusehen.
    Die Entscheidung die Griechen über das Schicksal der Spanier abstimmen zu lassen ist schon undemokratisch.

  5. @ Milia: Wenn ich den Text von Daniel richtig gelesen habe, dann ist die Selbstbestimmung der Griechen dem Willen der EU bzw. der Troika auf jeden Fall vorzuziehen und nimmt in keinem Fall vorweg, dass die Griechen deswegen austreten werden. Ist dieses demokratische Recht der griechischen nicht auch auf die spanische Bevölkerung zu übertragen, die ihre Protestbewegung durch diese Form der Politisierung noch einmal steigern könnte?

  6. @ Daniel: Deinen Gedanken finde ich sehr interessant – es liefe ja quasi auf ein >Bargaining by referendum< hinaus. Im Idealfall würde sich das griechische Referendum nämlich gerade nicht negativ, sondern positiv auf die anderen südlichen Euro-Staaten auswirken, wenn nämlich dort die Bevölkerung es den Griechen gleichtut und Volksabstimmungen einfordert (schließlich gab es in Irland, Italien und Spanien schon Referenden- z.T. auch solche mit verteilungs- oder europapolitischer Relevanz), ein virtuous circle quasi.
    Chris Argument ist sicherlich richtig, was Papandreou angeht- dessen plötzlich (wieder)entdeckter für Basisdemokratie traue ich auch nicht; nichtsdestotrotz ist es eine wichtige Gelegenheit für Griechenland, vielleicht für die gesamte EU.

  7. @Chris: Ich will gar nicht in Frage stellen, dass die Politik Papandreous und nicht zuletzt das Timing der Ankündigung eines Referendums wenig seriös erscheint. Die notwendige Kritik an Papandreou ist aber nach meinem Empfinden noch nicht Grund genug, die jetzige Entscheidung für ein Referendum zu verwerfen. Merkels Entscheidung für den Ausstieg vom Ausstieg vom Atomausstieg war ja auch nicht Inbegriff seriöser Regierungsführung, wenn man Kriterien wie Verlässlichkeit und Prinzipientreue anlegt. Und dennoch würde ich sagen, dass auch diese Entscheidung richtig war, inhaltlich, aber auch, weil die Regierung Merkel die Meinung der eigenen Bevölkerung zu diesem Thema ernst genommen hat. Lieber späte Einsicht als gar keine Einsicht.

    @Coccodrillo: Wie auch schon in Erwiderung auf Alban gesagt, bin ich mir gar nicht so sicher ob der tatsächlichen Folgen eines griechischen Neins. Wobei ich mir im Übrigen trotz der Sympathie für deine und Albans Vorschläge gar nicht so sicher bin, wie in diesem Fall eine „pareto-optimale“ Lösung aussieht. Dass sich eine solche Lösung nicht ohne weiteres identifizieren lässt, spricht dann wiederum für die notwendige Stärkung demokratischer Verfahren.

  8. @Daniel: Dass die tatsächlichen Folgen eines griechischen Neins noch nicht absehbar sind, ist richtig, aber eher ein Argument gegen als für das Referendum. Natürlich ist es denkbar, dass bei einem Nein die anderen europäischen Staaten so sehr unter Druck geraten, dass sie noch einmal nachverhandeln und Griechenland doch noch an Hilfen kommt, die ihm den Verbleib in der Eurozone erlauben. Aber diese Unsicherheit – die Tatsache, dass man nicht weiß, was ein Nein eigentlich bedeuten würde, so wie auch 2005 in Frankreich niemand wusste, was die Folgen eines Neins zum Verfassungsvertrag sein würden, sodass sich in diesem Votum sowohl glühende Europaföderalisten als auch Europaskeptiker wiederfanden – verringert die Legitimität der Entscheidung eher. Die Griechen können eben doch nicht über ihr Schicksal abstimmen, sondern bleiben davon abhängig, wie die übrigen Euro-Mitgliedstaaten auf das Referendum reagieren werden.

    Was das Pareto-Optimum betrifft, habe ich dem von mir verlinkten Blogpost darzustellen versucht, dass es mindestens eine Option gäbe, die für alle Beteiligten (sowohl Griechen als auch Deutsche und andere Europäer) akzeptabler (und damit pareto-effizienter) wäre als der griechische Staatsbankrott, nämlich ein begrenzter Schuldenschnitt plus europäisch finanziertem Konjunkturprogramm. Nur steht diese Option beim Referendum nicht zur Verfügung, weil sie zuvor in den intergouvernementalen Verhandlungen im Europäischen Rat aussortiert wurde, wo die deutsche Bundesregierung ihre Erstpräferenz (begrenzter Schuldenschnitt ohne Konjunkturprogramm) durchgesetzt hat.

    Es ist also sicher richtig, dass eine Stärkung demokratischer Verfahren absolut notwendig ist – nur kommt das Referendum dafür zu spät. Sinnvoll wäre es, diese demokratischen Verfahren gleich auf europäischer Ebene anzuwenden (etwa durch einen größeren EU-Haushalt unter der Hoheit des Europäischen Parlaments), und nicht erst, nachdem im Europäischen Rat bereits wichtige Optionen intergouvernemental wegverhandelt wurden.

  9. Nachdem sich vor ein paar Tagen Frank Schirrmacher in der FAZ ebenfalls über die „Verramschung der Demokratie“ empört hatte (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/der-griechische-weg-demokratie-ist-ramsch-11514358.html), pflichtet ihm heute Habermas emphatisch bei (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/euro-krise-rettet-die-wuerde-der-demokratie-11517735.html). Mir ist allerdings nicht ganz klar, was er mit der „Würde der Demokratie“ meint, wenn die Wendung denn mehr sein soll als rhetorische Verstärkung.

  10. Heribert Prantl hat inzwischen auch nachgelegt, mit der Forderung nach einer europäischen Superdemokratie:
    http://www.sueddeutsche.de/politik/finanzkrise-und-buergerbeteiligung-europa-sucht-die-superdemokratie-1.1181580

    Wobei ich gerne noch die Gelegenheit nutzen möchte, um auf einen anderen Text zu verweisen, in dem ich schon vor ein paar Wochen zu argumentieren versucht habe, weshalb die wirtschaftspolitischen Leitentscheidungen in der Eurozone von einem demokratisch gewählten Europäischen Parlament getroffen werden sollten statt von einem intergouvernementalen Organ (das auch noch von einem einzelnen Mitgliedstaat dominiert wird):
    http://foederalist.blogspot.com/2011/10/wirtschaftspolitische-strategien-und.html

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