Also sprach Konfuzius- Ein Rückblick auf den Workshop „Methodische und konzeptionelle Fragen der vergleichenden politischen Theorie und inter- und transkulturellen Ideengeschichte“ in Hamburg

Vom 15. bis 16. Juli fand sich am Institut für Politikwissenschaft der Universität Hamburg zum zweiten Mal eine Gruppe von NachwuchswissenschaftlerInnen zusammen, um über Methoden der Politischen Theorie zu diskutieren. Anders als im vorigen Jahr (wir berichteten) lag der Fokus diesmal auf den Schwierigkeiten, die aus der Anwendung einschlägiger Ansätze und Konzepte auf nicht-westliche Ideenbestände resultieren. Die Organisatoren, Alexander Weiß (Hamburg) und Andreas Busen (Hamburg), konnten neben Walter Reese-Schäfer (Göttingen), Holger Zapf (Göttingen) und Manuela Boatcǎ (Berlin) mit Fred Dallmayr (Notre Dame) zudem einen der Pioniere der Comparative Political Theory gewinnen, der in zwei Vorträgen über den Stand der Forschung, vor allem mit Blick auf die USA, berichtete.

Während Dallmayr in seinem Vortrag am Nachmittag die unter Politischen TheoretikerInnen unlängst gestiegene Bereitschaft, sich auf nicht-westliche Ideen einzulassen, auf geopolitische (Verlust der europäischen Vormachtstellung) wie fachimmanente Veränderungen (postmoderne Hinwendung zu Alterität und Differenz) zurückführte, fragte er in seinem Abendvortrag nach den Formen des gegenwärtigen Kosmopolitismus. Dabei grenzte er sein Verständnis des Weltbürgertums von der empirischen Ebene des markt-politischen Neoliberalismus ebenso ab wie von normativen Visionen zur Entwicklung einer globalen Ethik in der Folge von Kant. Die Praxis des Kosmopolitismus verfolge – nicht unumstritten – vielmehr eine pädagogisch-politische Agenda, die unter dem Slogan „think globally, act locally“ ihre Hoffnungen auf lokale Initiativen setze, da auf dieser Ebene interkulturelle Verständigung tatsächlich erreicht und gelebt werden könne, die sich dann global ausweiten würde.

Probleme der vergleichenden Politischen Theorie- theoretisch betrachtet

Zuvor stand der Nachmittag neben Dallmayrs erstem Vortrag ganz im Zeichen von Referaten, die sich den Problemen einer interkulturellen Ideengeschichte theoretisch annäherten. Ganz im Luhmann’schen Sinne fragte Holger Zapf nach der Art und Weise, in der neue Ideen rezipiert werden und verwies darauf, dass auch für nicht-westliche Kontexte die Kriterien der Varianz und Selektion gelten würden. Neue Ideen würden daher vor allem dann in den eigenen Kontext eingebettet, wenn sie lokalen Plausibilitäts- und Evidenzerwartungen entsprächen. Das gelte insbesondere für die gesamtgesellschaftliche Ideenevolution, aber auch für die von Teilsystemen wie der Politischen Theorie.
David Egner (La Paz) rückte bei seiner Diskussion des Ideologieproblems ein Paradox ins Zentrum seiner Überlegungen, das entstehe, wenn man vor dem Hintergrund eines nördlich geprägten Erfahrungshorizonts den ideologischen Standpunkt (i.S. Mannheims) von Intellektuellen im globalen Süden zu beleuchten versuche, was zu verzerrten politischen Einschätzungen führen könne.

Interkulturelle Missverständnisse standen jedoch nicht nur in Bezug auf politische Standortbestimmungen zur Diskussion, sondern wurden auch auf das Scheitern von Dialogen jenseits kultureller Grenzen zurückgeführt. So konzentrierte sich Jens Olesen (Oxford) in seinem Vortrag auf Ambivalenzen in Gadamers Verstehenslehre und attestierte dieser, für eine interkulturelle Ideengeschichte ungeeignet zu sein, da sie den Anderen zum Zweck des eigenen Erkenntnisgewinns instrumentalisiere, anstatt ihn, wie von der Theorie selbst gefordert, um seiner Selbst Willen wahrzunehmen und anzuerkennen.

Rezeptionsgeschichtliche Fälle und Fallen

Von einem unterschlagenen interkulturellen Dialog sprach am zweiten Tag des Workshops Walter Reese-Schäfer in seiner Analyse Platons. Dieser habe seine vorderasiatischen und ägyptischen Quellen stets offengelegt und damit einer ausschließenden Vereinnahmung durch Europa entgegen gewirkt , wie frühe RezensentInnen zutreffend bemerkt hätten. Jedoch greife in der Rezeptions-
geschichte später eine europäische Vereinnahmungstendenz um sich, in deren Folge nicht-westliche Quellen ignoriert würden. Daraus folgerte Reese-Schäfer, man müsse bei einer interkulturellen Ideengeschichte auch kritisch auf die eigene Überlieferungsgeschichte blicken und deren Konsequenzen für die Auslegung beachten. Damit war der rezeptionsgeschichtliche Rahmen bereits umrissen, der den zweiten Tag weitgehend prägen sollte.

Drei Fallstudien skizzierten die Dilemmata der jeweiligen Rezeptionspraxis: Felix Kramer (Salzburg) veranschaulichte anhand der Verwendung bestimmter Porträts von Túpac Amaru II., dem peruanischen Anführer eines indigenen Aufstandes gegen die Spanier im 18. Jahrhundert, Umwertungen, die von den Antikolonialismuskämpfen des 18. Jh. bis zu den Rebellenbewegungen der Gegenwart reichen. Andreas Busen ging nicht nur der Frage nach, wie die Rezeption Ibn Khalduns, der einst dem mittelalterlichen Kanon zugerechnet wurde, abebben und im deutschsprachigen Raum fast gänzlich verstummen konnte. Er spürte auch die unterschiedlichen Phasen der Beschäftigung westlicher Gelehrter mit Khaldun auf, die von einer naiven Assimilation an europäische Ideen (Khaldun als zweiter Montesquieu) bis hin zu einer differenzierteren Auseinandersetzung mit seinem Denken reichte. Alexander Weiß thematisierte die ambivalente Konfuziusrezeption in der europäischen Aufklärung und arbeitete heraus, was diese über das Bild Chinas in Europa zeige. So sei Konfuzius zwar von Leibniz und Wolff gewürdigt, mit der Herausbildung eines neuen europäischen Selbstbildes jedoch zusehends in den Hintergrund gedrängt worden, und das obwohl dessen Ideen in Grundgedanken der Aufklärung eingeflossen seien.

Dass vereinheitlichend von einem Europa und einer Moderne zu reden selbst bereits problematisch sei, mahnte Manuela Boatcǎ an. Sie schlug vor, von multiplen Europas bzw. Modernen zu sprechen, um auf verschiedene Ansprüche (etwa Ost- und Südeuropas) zu verweisen, die sich mit klassischen Kategorien nicht hinreichend erklären ließen.

(Un-)Übersetzbare Ideen?

Neben etablierten Erklärungsmustern können auch Übersetzungen an interkulturellen Barrieren scheitern, wie die weiteren Vorträge nachwiesen. Dass Begriffe keineswegs problemlos aus einem Erfahrungsraum in einen anderen übertragen werden können, zeigte Agnieszka Zaganczyk-Neufeld (Bochum) anhand des aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzten Begriffs „Positivismus“, der im Polnischen u.a. für eine Bewegung steht, die sich gegen die Aufteilung Polens zur Wehr setzte. Tobias Berger (Berlin) regte mit Verweis auf Bangladesh ein interdisziplinäres Vorgehen an: bei der Übersetzung nicht-westlicher Rechtsverständnisse sollten ForscherInnen sich auch der social anthropology bedienen, um sich mit deren Werkzeugen der dichten Beschreibung eine Offenheit gegenüber dem verkörperterten Wissen zu sichern.

Didaktik und interkulturelle Praxis

Schließlich stellte Jan Breitenstein (Hamburg) erste Ergebnisse seiner Studie zum postkolonialen Geschichtsdenken von Lehramtstudierenden vor. Anhand des Fallbeispiels eines Probanden zeigte Breitenstein, wie Bewertungsmuster auf transkulturelle Phänomene angewandt und durch interkulturelle Lernprozesse modifiziert werden könnten. Zum Abschluss formulierte Stefan Skupien (Berlin) Thesen zur Forschungspraxis in Ländern mit (noch) erschwertem Quellenzugang und ressourcenbedingt lückenhafter Materiallage. Er plädierte zudem dafür, in Zukunft auch scheinbar abseitiges Material wie HipHop-Texte oder Sprichwörter als Quellen politischen Denkens in jungen Gesellschaften heranzuziehen.

Der Workshop hat durch seinen interkulturellen Fokus und seine Themenvielfalt an jenen Punkten angesetzt, die letztes Jahr die Diskussion dominierten. Damit lieferte er wichtige Impulse, um die Beschäftigung mit nicht-westlichem Denken auch im deutschsprachigen Raum in die „Mitte des Faches“ zu rücken.

Stefan Skupien promoviert im Rahmen des Graduiertenkollegs „Verfassungen jenseits des Staates“. In seiner Dissertation widmet er sich aus ideengeschichtlicher Perspektive westafrikanischen Demokratiekonzepten zwischen indigenen und westlichen Paradigmen.

Jens ist Redaktionsmitglied im Theorieblog.

Full disclosure: Die Autoren dieses Berichts haben selbst Vorträge auf der Tagung gehalten.

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