Presseschau 1/2011

Ein Blick in die nationalen und internationalen Fachzeitschriften verrät – es hat sich einiges getan seit unserer letzten Presseschau.

Political Theory

Beginnen wir mit der Zeitschrift Political Theory. In der Dezember-Ausgabe der Zeitschrift (Vol. 38, No. 6) formuliert Larx Vinx unter dem Titel „Constitutional Indifferentism and Republican Freedom“ mit und über Hobbes eine Kritik an der neorepublikanischen Verfassungstheorie. Horacio Spector geht mit seinen Überlegungen zu den vier Begriffen der Freiheit sowohl über die Berlinsche Einteilung von negativer und positiver Freiheit als auch über Pettit und Skinners Unterscheidung in liberale und republikanische Freiheit hinaus. Über eine Auseinandersetzung mit Hobbes und Locke führt Spector den Unterschied zwischen „natural liberty“ und „civil liberty“ und kombiniert diese dann jeweils mit dem Konzept der negativen bzw. positiven Frieheit. Lesenwert in dieser Ausgabe ist auch der Rezensionsessay von Sharon  Krause zum Thema „Beyond Capitalism“.

Sowohl die Februar (Vol. 39, No.1) als auch die April-Ausgabe (Vol. 39, No. 2) stehen ganz im Zeichen von Sondersektionen (Special Sections). Insgesamt vier an der Zahl:

1. Freedom and the Feminine in Locke (Vol. 39, No.1) mit einem Beitrag von Timothy Stanton über Autorität und Frieheit in Lockes Politischer Theorie. 2. Freedom and the Fool in Hobbes (Vol. 39, No.1). 3. Reading James Tully, Public Philosophy in a New Key (Vol. 39, No.1) mit Beiträgen von Rainer Forst, Bonnie Honig und James Tully. 4. Enlightenments (Vol. 39, No. 2)  mit Beiträgen zu Montesquieu, Hume, dem kategorischen Imperativ und einem langen Rezensionessay zum Stand der gegenwärtigen Kant-Forschung. Steven Smith rundet die Ausgabe ab mit einer Rezession zum Thema Secularization and Its Discontents.

European Journal of Political Theory

Im European Journal of Political Theory sind dieses Jahr bereits zwei Ausgaben publisiziert worden. Während die jüngste Ausgabe mit einer Reihe ideengeschichtlicher Abhandlungen aufwartet – Abhandlungen zu David Hume und Konservativismus, zu Tariq Ramadan und Ethik, zu Rosa Luxemburg und Enttäuschung, zu Heideggers Aristoteles –, findet man im Januarheft vermehrt politiktheoretisch-systematische Abhandlungen. So schließt Oliver Sensen Aufsatz zu „Human dignity in historical perspective“ unmittelbar unsere Diskussion mit Bernd Ladwig an; Christian F. Rostbøll  versucht sich an einer Demokratietheorie, deren Grundpfeiler Meinungsfreiheit, Deliberation, Autonomie und Respekt sind. Andrew Schaap erklärt uns, warum Rancière die Problematik der Menschenrechte und des „Rechts auf Rechte“ besser versteht bzw. verstanden hat als Arendt.

Philosophy and Social Criticism

In der Januarausgabe der Zeitschrift „Philosophy and Social Criticism“ finden sich eine Reihe von Aufsätzen zu „großen Denkern“. Elizabeth Frazer und Kimberly Hutchings schreiben über Gewalt bei Derrida und Foucault, Bob Plant über Levinas und die „Tierfrage“, Charlotte Baumann über Hegel, Adorno und das konkret Universale und Miriam Bankovsky erklärt uns, warum Honneths Einwände gegen Rawls Gerechtigkeitstheorie ins Leere laufen.

Das Februarheft hat sich dann zum Großteil dem geistigen Erbe Paul Ricoeurs verpflichtet. In der „Special Section“ werden Ricoeurs Figurs des Anderen diskutiert, seine Ausführungen zur narrativen und poetischen Einbildung, sein Verhältnis zu Derrida und sein Nachdenken über Leben und Tod. Dagegen ist die jüngste Ausgabe vom März thematisch eher unverbunden. Nichtsdestotrotz finden sich auch darin eine Reihe interessanter Abhandlungen. Gérard Raulet argumentiert dort beispielsweise, dass auch vor dem Hintergrund der Finanzkrise Habermas’ Abhandlung zu den Legitimitätsproblemen im Spätkapitalismus ein „very useful key“ seien, um die „irreducibility of social policy and the way the post-Fordist capitalism assumes the mediation between the economic and the social sphere“ zu verstehen. Paul Healy ist der Ansicht, es sei an der Zeit, das Konzept der deliberativen Demokratie noch einmal gründlich zu durch- und überdenken. Und Annelies Degryse sieht in Kants sensus communis die foundation for men as political beings – zumindest dann, wenn man sich durch Arendts Interpretation der Kantschen Überlegungen durchgearbeitet hat.

Zeitschrift für Politik

Die Zeitschrift für Politik hat sich für ihre erste Ausgabe im Jahr 2011 ebenfalls einen Schwerpunkt ausgesucht: Theoretische Grundlagen des Staates. Frauke Höntzsch weist dabei nach, dass sämtliche Varianten des neuzeitlichen moralischen Kosmopolitismus (egal ob naturrechtlicher, kantischer oder utilitaristischer Prägung) aufgrund der sie einenden anthropologischen Begründung durch eine Ambivalenz zwischen moralischem Ideal und politischer Wirklichkeit gekennzeichnet sind. Die Kosmopolis wird zwar aufgrund des gemeinsamen moralischen Potentials eines jeden Menschen als politische Alternative postuliert, muss aber angesichts der individuellen Triebnatur notwendig scheitern. Thomas Schölderle geht der Fehlperzeptionen der staatsphilosophischen Vertragstheorie nach. Seiner Meinung nach aber ist die wirkungsmächtig Tradition des staatsphilosophische Kontraktualismus von auffallenden vielen Missdeutungen begleitet. Eine davon sei, den Doppelvertrag aus Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag als vorbildliche Normgestalt der Vertragslehre zu werten. In seinem Beitrag plädiert er für eine Lesart der kontraktualistischen Theorie, die den vorbildlichen Normtypus in einem einstufigen und rein hypothetischen Gesellschaftsvertrag verortet. Zudem versammelt das Heft Beiträge von Alois Riklin, der sich die Entstehungsgeschichte der athenischen Polis ansieht, und Klaus Hornung, der die Kurskorrekturen der amerikanischen Außenpolitik nach 1945 analysiert.

null

Im null versucht sich Katrin Meyer an einer Kritik der Postdemokratie. Dabei vergleicht Rancières Konzept der Postdemokratie mit Arendts Kritik der parlamentarisch-repräsentativen Mehrheits-Demokratie. Es wird gezeigt, dass beide ein Verständnis von Demokratie im Sinne einer souveränen, konsensorientierten Volksherrschaft ablehnen, das dem politischen Streit keinen Eigenwert bemisst. Meyer kommt dabei zu dem Ergebnis, dass jedes Demokratieverständnis postdemokratisch ist, das die paradoxen und selbstlimitierenden Effekte der Machtteilung negiert und das Modell souveräner Volksherrschaft als in sich grenzenlos verabsolutiert. Detlev Schöttker, der sich unter anderem als sorgfälltiger Herausgeber, Kommentator und exzellenter Kenner der Schriften Walter Benjamins hervorgetan hat, beschäftigt sich mit der Ausgrenzung der Architektur aus den Sozial- und Kulturwissenschaften nach 1945. Behandelt werden die Ursachen der Architekturvergessenheit in kritischen und strukturalistischen Theorien und Sloterdijks Entwurf einer architektonisch orientierten Kulturtheorie der Moderne. Ziel des Beitrags ist es, auf das Defizit hinzuweisen, das entsteht, sobald soziale Faktoren aus der Architekturtheorie ausgegrenzt werden. Des Weiteren geht es in der neuen Ausgaben ums Klima – ums Integrationsklima (sowohl bei Dirk Halm / Martina Sauer als auch bei Heinz Fassmann) und ums Weltklima (Bernd Sommer) und ums Bankenklima (Sighard Neckel). Paul und Schwalb schauen sich an, wie organisiert das organisierte Verbrechen ist und Eva-Maria Ziege skizziert die klassische und neuere Modesoziologien im Kontext der Gesellschaftstheorie.

Mittelweg 36

Die Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung startet mit einem Heft zum Thema „Einsamkeit und Freundschaft im Kommunikationszeitalter“ in das Jahr 2011 und versammelt zu diesem Schwrpunkt Beiträge von Aleida Assmann und Janosch Schobin. Daneben spielt in dieser Ausgabe das Thema Krieg wieder eine Rolle. In Dierk Walters Abhandlung geht es um Schlachtniederlage in Imperialkriegen. Walters untersucht sechs der spektakulärsten Desaster, die reguläre Armeen je in Imperialkriegen erlitten haben. Truppen, Bewaffnung, Taktik, Natur, Raum und Kriegführung, vor allem aber die Geistesverfassung der westlichen Kommandeure, werden zur Erklärung dieser taktischen Niederlagen herangezogen. Klaus Naumann deckt in seinem Beitrag die Widersprüche auf, in die sich Deutschland in und mit dem Afghanistan-Krieg begeben hat. Und für alle Arendt-Liebhaber ist auch dieses Mal wieder was dabei: Steven Aschheim, der die einst legendäre Arendt-Tagung in Jerusalem (Arendt in Jerusalem) veranstaltet hat, schaut sich den jüngst herausgegebenen Briefwechsel zwischen Scholem und Arendt noch einmal an.

Die aktuelle Ausgabe (April/Mai) hat die Ungerechtigkeitstheorie des französischen Soziologen François Dubet und seiner Methode der „soziologischen Intervention“ zum Thema. In einem dokumentierten Gespräch unterhalten sich Dubet und Robert Castel über die signifikante Zunahme von Ungleichheiten heute. In seinem Artikel zur „Kritik des Verteilungsparadigmas“ vergleicht Martin Hartmann die Theorie Dubets mit der Anerkennungstheorie Axel Honneths. Weitere Artikel zu Dubet stammen von Hans J. Pongratz („Das Subjekt der Kritik. Ein arbeitssoziologischer Kommentar zu Dubets ‚Ungerechtigkeiten'“) und Jörg Potthast („Soziologie der ausbleibenden Kritik“). Nikola Tietze untersucht in der Literaturbeilage „Erfahrung, Institution und Kritik in der postindustriellen Gesellschaft“ bei Dubet. Abgerundet wird der Schwerpunkt von einem Werksüberblick. Zum Auftakt einer Reihe über die Konstruktion der EU haben Nikola Tietze und Ulrich Bielefeld ein Gespräch mit Jaques Delors, dem ehemaligen Präsidenten der EU-Kommission, über die Frage nach einer europäischen Gesellschaft geführt.

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