Tagungsbericht zur Meisterklasse Konstanz: „Clash of Cultures?“

Die 1999 gegründete „Konstanzer Meisterklasse“ versteht sich als Summer School besonderen Zuschnitts: Eine internationale, interdisziplinäre Gruppe von (Post-)DoktorandInnen („Fellows“) trifft auf renommierte „Meister“ ihres jeweiligen Faches und verhandelt ein oftmals der Kultursoziologie entlehntes Streitthema. Ganze acht Tage lang – strukturiert in morgendliche Vorträge der älteren „Meister“ und nachmittägliche Projektvorstellungen der Nachwuchswissenschaftler – verbringt die rund 30-köpfige Gruppe mit diesem Thema. Zentral für die Veranstaltung ist dabei nicht ein in irgendeiner Weise materielles Produkt; die vergangenen Meisterklassen sind in keinerlei Publikationen gemündet. Im Mittelpunkt steht vielmehr die von solchen unmittelbaren Zwecken freie Diskussion  mit KollegInnen verschiedener Fächer, und nicht zuletzt die Möglichkeit, mit eher selten verfügbaren Koryphäen der Geistes- und Sozialwissenschaften in Kontakt zu treten.

Unter den „Meistern“ der vergangenen Jahre waren Figuren wie Ralf Dahrendorf, Clifford Geertz, Hayden White und Shmuel Eisenstadt. Diese Betonung auf „meisterlichem“ Austausch, gefördert durch die lange Dauer und das reizvolle Bodensee-Setting der Veranstaltung, kann man als Spezifika der Konstanzer Meisterklasse betrachten. In diesem Juli wurde unter Leitung des Soziologieprofessors Bernhard Giesen (Konstanz) die nunmehr seit zwei Jahrzehnten vieldiskutierte Frage nach einem „Clash of Cultures“ neu evaluiert, wobei ein dem Titel hintangestelltes Fragezeichen eine kritische und ergebnisoffene Diskussion erwarten ließ.

Diese Erwartung wurde im Austausch von „Masters“ und „Fellows“ dank der unterschiedlichen disziplinären und theoretischen Zugänge und Abstraktionsebenen an den acht Konferenztagen auch zumeist erfüllt. Wenn die Vorträge mehrheitlich der Frage nach Existenz, Manifestationen und möglichen Auflösungen kultureller Konflikte nachgingen, so blieben die Sichtweisen auf kulturelle Kollisionen und insbesondere die Frage nach deren Reifizierung oft genug kontrovers. Die Mehrzahl der Beiträge wählte eine regionale Perspektive gemäß der Frage, welche kulturellen Konflikt- und Austauschdynamiken auf der Mikroebene tatsächlich beobachtbar sind und welche Implikationen diese Einzelfälle haben. Dieser kurze Bericht soll einen Eindruck der Bandbreite dieser Fallstudien geben. Zunächst  soll ein Blick auf jene Beiträge geworfen werden, die der Frage nach einem Kampf der Kulturen aus einer abstrahierenderen oder auch globalen Perspektive nachgingen. In den nächsten beiden Schritten werden dann solche Fallstudien vorgestellt, die beim Zusammentreffen von Kulturen vor allem die „Clash-Elemente“ bzw. vor allem Prozesse der Hybridisierung analysieren, bevor zum Schluss auf solche Vorträge eingegangen wird, die die öffentliche Rezeption von Kulturkonflikten untersuchen.

Die „Meister“ Craig Calhoun (New York), Jürgen Osterhammel (Konstanz) und auch Bernhard Giesen nahmen eine abstrahierende Perspektive ein. Mit theoretischem Blick gingen sie der Frage nach den allgemeinen Entstehungsbedingungen und Konsequenzen kultureller Konflikte nach. Samuel Huntingtons These von 1993, die als Anstoß leitend war, bildete für Giesens einführende Überlegungen den Ausgangspunkt. Giesen rekapitulierte die Kritik an Huntingtons Bild eines Kampfes der Kulturen und stellte dabei zentral die territoriale und essentialistische Festschreibung kultureller Sphären in Frage. Nicht nur die Verengung auf kulturelle Konflikte sei angesichts der vielen Varianten von kultureller Hybridität zu hinterfragen. Auch auf epistemologischer Ebene sei die Zuordnung von bestimmten, mehr oder weniger statischen Kulturen zu bestimmten Territorien oder Zivilisationsräumen äußerst fragwürdig und problematisch. Die Rede vom „Clash of Cultures“ blende Formen von „Inbetweenness“ aus, die aber in der Interaktion von Kulturen nicht Ausnahme, sondern Normalfall seien.

Für eine Aussöhnung kultureller Prägungen und kosmopolitischer Normen plädierte Craig Calhoun, Soziologe an der New York University und Präsident des Social Science Research Council. Anstelle eines konsumorientierten Lifestyle-Kosmopolitanismus nach der Devise „Been there, done that“ oder eines universalistischen Kosmopolitanismus, der lediglich nach dem kleinsten gemeinsamen kulturellen Nenner fragt und damit kulturelle Zugehörigkeiten abwertet, forderte Calhoun einen dritten Weg: Kosmopolitische Ansprüche und kulturelle Prägungen schlössen sich nicht gegenseitig aus, sondern müssten sogar unbedingt miteinander in Einklang gebracht werden. Der wahre Kosmopolit lehne kulturelle Eigenheiten nicht ab, sondern könne sie erfolgreich integrieren und navigieren. In ähnlicher Weise reformulierte Calhoun europäische Säkularismuskonzeptionen und sprach sich auch hier für eine differenzierte Betrachtung und die Anerkennung kultureller embeddedness aus. Das eurozentrische teleologische Narrativ von einer generellen Säkularisierung sei, so Calhouns nicht ganz überraschende These, normativ problematisch und empirisch falsch – und zwar nicht nur mit Blick auf außereuropäische Regionen, sondern auch hinsichtlich der weiterhin komplexen Verknüpfung zwischen säkularen und religiösen Institutionen im Westen.

Mit Vorstellungen und Politiken kultureller Superiorität befasste sich der in Konstanz lehrende Historiker Jürgen Osterhammel, indem er die Idee der Zivilisierungsmission aus theoretischer wie auch historischer Perspektive diskutierte. Zivilisierungsmissionen ruhen demnach stets auf Vorstellungen der Superiorität bestimmter Eliten, welche sich in der Folge als Recht und Pflicht die „Entbarbarisierung von Barbaren“ verordnen. Diese Überzeugung bleibe in der geschichtlichen Rückschau – gerade in den europäischen Staaten der Sattelzeit und gerade in verschiedenen Kolonialismen – selten folgenlos und oft konfliktreich: Das viktorianische Empire stelle ein paradigmatisches Beispiel für verschiedene Aspekte von Zivilisierungsmissionen dar, da hier innere und äußere Zivilisierungsmaßnahmen, religiöser Missionarismus, universalistischer Humanitarismus sowie marktwirtschaftlicher Expansionismus ineinander griffen. Hohe Erwartungen der vermeintlichen Zivilisatoren, nämlich Dankbarkeit und Besserung seitens der „Barbaren“, würden, so Osterhammel, allerdings zuverlässig enttäuscht.

Diesen globalen Blick auf Zivilisierungsmissionen wandte Ulrich Hofmeister (Gießen) auf die regionale Herrschaftssicherung des russischen Zarenreiches in Zentralasien nach 1860 an: In Turkestan unterschätzten anfängliche Zivilisierungsversuche die Hartnäckigkeit muslimischer Institutionen; aufkeimende reformislamische Gruppierungen provozierten daraufhin konservative Allianzen zwischen Russen und traditionellen islamischen Eliten. Hofmeister erhärtete damit Osterhammels These von der hürdenreichen Umsetzung abstrakter Zivilisierungsrhetoriken: Erst die gänzlich anders gelagerten sowjetischen Aktivitäten nach 1917 vermochten lokale Verhältnisse radikal zu verändern.

Der „Clash of Cultures“ fand bei der Meisterklasse vor allem epistemologisch statt. Mohammed Arkoun (Paris),  Koryphäe in den Islamwissenschaften, sah sich einmal mehr gezwungen, seiner Disziplin den Weg vom Mythos zum Logos zu weisen. Vor allem die gegenwärtige Situation des Islam und seine Instrumentalisierung durch politische Gruppen – Arkoun sprach gar vom „suicide of Islam durch den 11. September – mache deutlich, wie sehr eine historisierende Analyse des islamischen Denkens und seiner sozialen wie politischen Entstehungsbedingungen notwendig sei. Hiervon musste bei der Meisterklasse freilich niemand überzeugt werden. Mit Blick auf einen anderen Aspekt scheint Kritik allerdings geboten. Wenn Arkoun über die Gegenwart des Islam und seiner Wissenschaft sprach, war stets ein gewisses Moment der Desillusionierung zu spüren, des fehlenden Glaubens daran, dass „der Islam“, von dem Arkoun etwas irritierend immer wieder in essentialistischer Weise sprach, veränderbar sei. Gerade diese wiederkehrende Rede von „dem Islam“ rief Kritik hervor, sollte doch die Sensibilität gegenüber regionalen, sozialen, politischen und theologischen Unterschieden der Schlüssel für ein Verständnis der Gegenwartsislams sein – vom Mythos zum Logos eben.

Noch grundsätzlicher wurde es bei Wang Hui (Beijing). Wang, einer der renommiertesten chinesischen Sozialwissenschaftler, forderte eine epistemologische Wende in den interkulturellen Sozialwissenschaften. Wie, so seine Frage, kann heute überhaupt die Geschichte Chinas erzählt werden; inwieweit sind westliche Wissenschaftskonzepte – Wang argumentierte am Beispiel der binären Begriffspaars Empire and Nation State – geeignet, die Geschichte etwa des frühmodernen Chinas analytisch zu fassen? Ähnlich der These in seinem bisher wichtigsten Werk über die Entstehung des Modernen Denkens in China blieb Wang auch bei der Meisterklasse dabei, dass eine Anwendung westlicher Konzepte zwar unvermeidbar sei, dass aber eine Reflexion über die Grenzen der Konzepte erfolgen müsse und damit schlicht neue Epistemologien notwendig seien. Auch wenn ein solches Programm in Vortrag und Diskussion nur im Ansatz entfaltet wurde, war dies einer der Momente der Meisterklasse, in denen nicht nur gefällig und auf hohem Niveau auf den bekannten Pfaden gewandelt wurde, sondern sich Zukunftsaufgaben des versammelten Nachwuchses andeuteten.

Der überwiegende Teil der Vorträge auf der Meisterklasse interpretierte das Zusammentreffen von Kulturen nicht als Clash, sondern stellte Prozesse der Akkulturierung und der Hybridisierung vor. Ein Beispiel dafür lieferte Stefan Kroll (Frankfurt/Main) in seiner Untersuchung der Aneignung des Völkerrechts in China: Das Völkerrecht habe zunächst nur als ein auf Europa begrenztes Konzept gegolten, und erst im Laufe des 19. Jahrhunderts sei sein Geltungsanspruch auf alle „zivilisierten“ Völker und schließlich universal ausgeweitet worden. Kroll zeigte aber, dass die Verbreitung des Völkerrechts dessen Inhalt nicht unberührt ließ, sondern mit einer Adaptierung an lokale Verhältnisse einherging. Auch Anirban Ghosh (München) zeigte den Form- und Bedeutungswandel auf, dem europäische Konzepte im kolonialen Kontext unterliegen können: In seiner Untersuchung des Zirkus in Britisch-Indien belegte er, wie diese aus Europa importierte Institution in Indien auch auf vorkoloniale einheimische Traditionen zurückgriff und diese inkorporierte. Im Rahmen der kolonialen Gesellschaft habe der Zirkus eine widersprüchliche Rolle gespielt: Einerseits seien in den Vorstellungen koloniale Stereotype zu Ethnizität und Gender affirmiert worden, andererseits sei durch das subversive Potential des Zirkus die viktorianische Gesellschaftsordnung auch immer wieder in Frage gestellt worden.

Dass Hybridbildungen nicht immer friktionsfrei ablaufen und dadurch teilweise auch neue Gräben sichtbar werden, die quer zu religiösen oder ethnischen Grenzen verlaufen, zeigte der Vortrag von Ana Sobral (Konstanz) über weibliche muslimische Hip-Hop-Gruppen in Großbritannien und deren Rezeption.

Die Betonung des Islam durch Gruppen wie „Poetic Pilgrimage“ führe bei säkularen Briten immer wieder zu Irritationen, während es unter strenggläubigen Muslimen wiederum umstritten sei, ob Musizieren und Singen – besonders von Frauen – nicht islamischen Normen widerspreche. Sobral interpretierte diese Irritationen jedoch nicht als neue Clashs, sondern vielmehr als Beleg dafür, dass die Vorstellung von homogenen Kulturen mit klaren Grenzen nicht haltbar sei. Auch im Gegensatz zu Arkoun, der die Vorstellung eines monolithischen, von traditionellen Eliten dominierten Islam vermittelt hatte, präsentierte Sobral den Islam als heterogenes diskursives Feld, das auch „von unten“ immer wieder neu interpretiert werde.

Milinda Banerjee (Heidelberg) wandte sich in ähnlicher Weise gegen allzu klare Dichotomien, jedoch auf konzeptueller Ebene. Er zeigte anhand der britisch-indischen Provinz Bengalen die symbiotische Verschränkung auf, die die Konzepte von Königtum und Nation angenommen hatten. Während diese Begriffe in der Geschichtsschreibung traditionell als Gegensatzpaare aufgefasst werden, argumentierte Banerjee, dass die indische Nationalbewegung sich bewusst auf dynastische Traditionen und Mythen berufen habe, um ein nationales Gegenmodell zum britischen Imperium zu entwickeln. Eine vergleichbare Verschiebung vermeintlich eindeutig zugeordneter Begriffe belegte auch Sorcha Brophy-Warren (Yale) in ihrer Analyse des Regierungsdiskurses zu Tradition und Kultur auf der Karibikinsel Barbados seit 2001. Brophy-Warren zeigte, dass „imperial“ aufgeladene Begriffe wie „civility“ auch dazu verwendet werden können, postkoloniale nationale Identitäten zu festigen und sich gegen transnationale oder globalisierende Tendenzen abzugrenzen.

Ob Clash, Fusion oder Hybridisierung der Kulturen, nichts von dem geschieht ohne die Arena der öffentlichen Sphäre. Die Meisterklasse diskutierte zunächst Grenzen der deliberativen Demokratie Habermas’, die sich aus empirischen Studien der Gegenwartspresse ergeben. Ausgehend von dem Hinweis, dass Mediendiskurse alles andere als autoritätsfrei seien, wies Matthias Revers (New York) auf deren symbolische Dimension hin. Revers machte deutlich, wie Argumente als Narrative und Teil einer Performance erscheinen, bei der es weniger um das beste Argument oder strategische Interessen der Akteure gehe, sondern um komplexe Kontexte einer Medienkultur, die Mediendiskurse nach eigenen Dynamiken lenke.

Insgesamt kann das Format der Meisterklasse als durchaus gelungen bezeichnet werden, wenngleich die Hierarchie zwischen „Fellows“ und zumeist männlichen „Masters“ bisweilen überbetont wirkt. Für die „Fellows“ bietet die Klasse eine gute Gelegenheit, ihre Projekte mit weltweit renommierten Wissenschaftlern zu diskutieren, und für die „Masters“ ist es sicher bereichernd, die enorme Bandbreite aktueller Forschungsarbeiten kennenzulernen, die sich mit Fragen der Interkulturalität befassen. Gerade angesichts der recht freien thematischen Gestaltung – orientiert sich doch die Veranstaltung nur an einer allgemeinen Fragestellung und nicht an einem abzuarbeitenden Programm – kann natürlich nach der wissenschaftlichen Produktivität der Meisterklasse gefragt werden: So war die Diskussion zum „Clash of Cultures“ zwar reich an Differenzierungen und veranschaulichenden Fallstudien, aber nicht unbedingt an kontinuierlicher Stringenz oder Ergebnisorientierung. Wer aber – neben interessanten Kontakten in entspannter Bodensee-Atmosphäre – nach genau so einer ergebnisoffenen, relativ zwanglosen und dadurch oft auch überraschenden Diskussion zu bewegenden Themen sucht, ist bei der Konstanzer Meisterklasse sicherlich am richtigen Ort.

Ulrich Hofmeister ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Seminar der Justus-Liebig-Universität Gießen und promoviert über den Zivilisierungsmissions-Diskurs des russischen Zarenreichs in Zentralasien.

Stefan Kroll ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main. Stefan schreibt seine Dissertation über Europäisches Völkerrecht im China des 19. und 20. Jahrhunderts.

Eva Marlene Hausteiner promoviert als wissenschaftliche Mitarbeiterin am SFB 644 der Humboldt-Universität und ist Teammitglied des Theorieblogs.

Dieser Bericht ist eine gekürzte und überarbeitete Version eines am 14.8.2010 auf H-Soz-Kult veröffentlichten Beitrages.

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