Designing Institutions for Africa?

Konferenzbericht zur 16. Jahreskonferenz der ISAPS “Culture and Justice in the Contemporary World“

Afrika müsse Institutionen aufbauen, die auf aktuelle Herausforderungen antworten. Mit dieser Forderung eröffnete der Präsident der International Society for African Philosophy and Studies (ISAPS), Dr. Kôlá Abímbôlá (University of Leicester) im Rahmen einer feierlichen, von spirituellen Anrufungen der Ahnen durch Musik und Tanz begleiteten Zeremonie die 16. ISAPS-Jahreskonferenz, die vom 17. – 19. März unter dem Titel „Culture and Justice in the Contemporary World“ an der University of Ghana (Legon, Ghana) stattfand. Zwar übten, so Abímbôlá, traditionelle Institutionen auf das alltägliche Leben des Großteils der Bevölkerung Afrikas noch immer den größten Einfluss aus. Dennoch sei es dringend an der Zeit über diese hinaus neue Konzepte zu entwickeln, um insbesondere auf den wachsenden Einfluss von multi- und transnationalen Konzernen in Afrika zu reagieren, die als juristische Personen zwar Rechte, nicht aber Verantwortung für ihr Handeln trügen.

Damit bezog er bereits Stellung innerhalb der zentralen Konfliktlinie, die die Auseinandersetzungen in vielen der insgesamt 13 Panels prägen sollte: Sie verlief zwischen eher nach innen auf die Rückbesinnung auf afrikanische Traditionen gerichteten identitätspolitischen Fragestellungen einerseits und der Forderung, diese zu überwinden zu Gunsten einer sich stärker nach außen öffnenden Diskussion aktueller Probleme des Institutionendesigns andererseits. Entlang dieser Positionen wurde nicht nur in den Panels, sondern auch in den Pausen teilweise heftig diskutiert.

Als Teil der eher identitätspolitisch geprägten Debatte kann der Streit darüber gewertet werden, inwiefern die afrikanischen Staatengründer Texte vorgelegt hätten, die in der Gegenwart noch als relevant gelten könnten. Nkrumah (Ghana), Nyerere (Tanzania) und Senghor (Senegal) als Referenzautoren in die politik-philosophische Debatte einzulassen, fiel dabei nicht allen leicht, wurde aber auch mit Verweis auf ihre emanzipatorischen Frühschriften gegen Vorwürfe einer oberflächigen und lediglich machtpolitisch motivierten Rhetorik  verteidigt. Gleichzeitig wurden auch ideologische Großprojekte wie der Pan-Afrikanismus (E.K. Ogundowole, University of Lagos) oder die African Renaissance (Martin F. Asiegbu, Ebonyi State University, Nigeria) einer kritischen Mehrwertsanalyse unterzogen.

Ein zweiter und zentraler Teil der Debatte entspann sich idealtypisch entlang der Unterscheidung von Individualismus und Kommunalismus (die sich teilweise unmittelbar von der Kommunitarismusdebatte abgrenzt, und eine Denkart der Gemeinschaft betont, in der das Individuum viel stärker verpflichtend in die Gemeinschaft eingebunden bleibt.) Im Zentrum stand dabei das spannungsvolle Verhältnis von Individuen und ihren Herkunftsgemeinschaften, wobei für die noch immer rural geprägten Gesellschaften der Kommunalismus als selbstverständlich vorausgesetzt wurde. Damit einher ging die Identifikation von demokratischen Elementen in den lokalen Politikstrukturen und der Forderung nach Kommunalismus als konzeptioneller und moralischer Grundlage genuin afrikanischer Demokratiemodelle.

Verbunden wurde dies zum Teil mit einer etwas undifferenzierten Kritik am individualistischen Westen, die insbesondere im ebenfalls sehr feierlichen Abschlussvortrag des traditionellen Herrschers (Chiefs) Nana Dr. Kobina Nketisa V. zum Ausdruck kam. Er vertrat die These, Recht, das Herrschaftsinstrument der Kolonisatoren, sei per se repressiv; auch die afrikanische Elite sei letztlich nichts anderes als geistige Kinder der Weißen, die die kulturelle Enteignung Afrikas weiter vorantrieben; der Hahn sei daher im Gericht der Hühner stets schuldig. Zu Überwinden sei dieses Problem allein durch den Rückbezug auf traditionelle Regime.

In starker Opposition dazu ergriff Olúfêmi Táíwò (Universität Seattle) vehement Partei für den Individualismus und brachte diesen als grundlegende Begründungsfigur auch für moderne afrikanische Gesellschaften in die Debatte ein. Der nigerianische Philosoph Joseph Agbakoba (University of Nigeria) stimmte zwar Táíwòs Forderung nach der Überwindung der Selbstbezogenheit afrikanischer Philosophie zu, verteidigte in seinem Vortrag aber dennoch den afrikanischen Kommunalismus – nicht ohne dabei zu unterstreichen, dass dieser Individuen durchaus auch Raum für autonome Entscheidungen lasse. So müsse etwa im Fall von Zwangsheirat abgewogen werden, welcher Schaden dem Clan tatsächlich erwachse, wenn das betroffene Individuum nicht einverstanden sei. Eine Antwort auf die von ihm aufgeworfene eher institutionentheoretische Frage, wie in kommunalistischen Gesellschaften checks and balances institutionalisiert werden könnten, ohne dabei auf die westliche Idee individueller Rechte oder das traditionelle afrikanische System spiritueller Herrschaftskontrolle Bezug nehmen zu können, blieb er jedoch schuldig.

Konkretere konzeptionelle Überlegungen zu einer Neuausrichtung südafrikanischer Parteienstrukturen unternahm dagegen Bernard Matolino (University of KwaZulu-Natal) im Anschluss an den ghanaischen Philosophen Kwasi Wiredu und löste damit die zu Beginn der Tagung vorgebrachte Forderung Abímbôlás ein. Sein Vorschlag ging nicht dahin, Parteien im Sinne einer non-party-polity gänzlich abzuschaffen, sondern als Orte der Meinungsfindung und Willensbildung beizubehalten, ihren oftmals exklusiven Charakter aber einzuschränken.

Weitere Beiträge zur Suche nach kreativen institutionellen Lösungen für afrikanische Probleme legten Joshua K. Aikins (Universität Bielefeld) und Friederike Diaby-Pentzlin (Rechtsberaterin am National House of Chiefs, Ghana) vor. Sie diskutierten die komplexen Beziehungen zwischen traditionellen Autoritäten (Chiefs), demokratischen staatlichen Strukturen und Akteuren der internationalen Zusammenarbeit in Ghana.

Dass die Suche nach afrikanischen Lösungen für afrikanische Probleme noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie von vielen erhofft, erklärte die Philosophin Helen Lauer (University of Ghana) vor allem anhand der schwierigen politischen Lage, in der sich die Universitäten Afrikas befänden: Die externe Bestimmung von Bildungszielen und -prioritäten durch internationale Kreditgeber, von denen sie finanziell abhängig seien, habe gemäß den Interessen ausländischer Investoren zu einem Überhang an Ökonomen geführt und damit kreative und materielle Ressourcen für andere Fächer gebunden. In ihrem engagierten Plädoyer für eine Stärkung der Rolle afrikanischer Universitäten bei der Lösung aktueller gesellschaftlicher Probleme kritisierte sie insbesondere den mangelhaften Zugang zu Texten afrikanischer Philosophen. Gespräche mit Philosophiestudenten und ein Blick in die stilvolle Universitätsbibliothek bestätigten dies: Neben aktuellen Veröffentlichungen, deren Beschaffung mit erheblichem Aufwand verbunden ist, mangelt es insbesondere auch an afrikanischen Klassikern, deren Autoren nicht – wie z.B. Prof. Gyekye – selbst an der University of Ghana lehren. (Wesentlich geprägt haben das Selbstverständnis, Theorien und die Methoden einer Afrikanischen Philosophie prägenden Schriften Philosophen Wiredu (Ghana/USA) , Hountondji (Benin) und Odera Oruka (Kenia).)

Dorothea Gädeke promoviert im Rahmen des Exzellenzclusters „Herausbildung Normativer Ordnungen“ in Frankfurt am Main. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich aus gerechtigkeitstheoretischer Sicht mit entwicklungspolitischen Fragen, insbesondere mit dem Verhältnis von externer Demokratisierung und kollektiver Selbstbestimmung.

Stefan Skupien promoviert im Rahmen des Graduiertenkollegs „Verfassungen jenseits des Staates“. In seiner Dissertation widmet er sich aus ideengeschichtlicher Perspektive westafrikanischen Demokratiekonzepten zwischen indigenen und westlichen Paradigmen.

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