theorieblog.de | Tierethik Reloaded

14. April 2010, Schmetkamp

Der amerikanische Romanautor Jonathan Safran Foer hat ein essayistisches Buch über Tierschutz geschrieben, eine Art neue Vegetarierbibel könnte man sagen. Mit „Eating Animals“ (in der deutschen Übersetzung „Tiere Essen“) legt Foer nämlich ein zugleich informiertes, witziges, kluges und philosophisches Buch zum Essen von Tieren und essenden Tieren, so der doppeldeutige Titel, vor. Er befreit die Tierethik damit zumindest in der Popkultur, vielleicht aber ja auch in der (Populär-)philosophie, ein Stück weit aus ihrem Schattendasein.Denn Vegetarismus und Tierschutz fristen in der Philosophie bekanntlich ein eher stiefmütterliches Dasein. Zwar gab es und gibt es immer wieder ausgewiesene Ethiker, die sich auch mit dem Leiden und den Rechten der Tiere befassen, aber einen guten Stand in der Mainstream-Philosophie können sie nicht wirklich für sich behaupten: Da haben wir Peter Singer, einen der international bekanntesten Tierethiker, der sich aber dadurch unbeliebt gemacht hat, dass er  seine utilitaristische Ethik etwas zu weit getrieben und mit Euthanasieargumenten seine eigene Tierethik und sein Anliegen – nämlich dem Status und dem Leiden von Tieren mehr Aufmerksamkeit zu bescheren – in den Schatten gestellt hat. Da hätten wir ausserdem Tom Regan, der in anderer Weise für viele etwas zu weit geht, indem er den Tieren einen inhärenten Wert und davon abgeleitete Rechte zuspricht. Im deutschsprachigen Raum wären unter anderem Ursula Wolf und Bernd Ladwig zu nennen, die sich ebenfalls mit Tierschutz befassen.

Aber so richtig hipp oder gern gehört oder ernst genommen – seien wir ehrlich – wird das meist nicht. Dabei möchte man gerade von Ethikern, unter ihnen Menschenrechtler, eigentlich genau das erwarten: Eine Ethik der Verantwortung und des Respekts zu unterstützen, die sich nicht nur auf den Menschen erstreckt. Und eine, die sich nicht an Reziprozität festmacht, sondern an einem personalen Selbstverständnis, das wir als moralische Personen haben (sollten), die sich moralisch verhalten können, und zwar allen Lebewesen gegenüber, die Ansprüche stellen oder haben. Das ist nicht nur eine Frage der Selbstachtung des Anderen, aus der dessen Wert und Würde abzuleiten wäre, sondern das ist eine Frage unserer je eigenen Selbstachtung, die sich aus unserem Verständnis als moralisch Handelnde speist. Es ist eine Frage, wie wir uns verstehen und verstehen wollen.

Ethisch kann man sich jedenfalls meines Erachtens nicht erlauben, Fleisch zu essen, und das hat vor allem, aber nicht nur mit den Tieren, ihrem Leiden und ihren Ansprüchen zu tun. Wie Foer und in jüngster Zeit auch andere gezeigt haben, geht es inzwischen auch um die Umwelt. Unser Verhalten hat offenbar, wie Wissenschaftler des Washingtoner Worldwatch Instituts berechnet haben, weitaus mehr Konsequenzen für das Klima als gedacht. Alles mitgerechnet (von der Nahrung über die Aufzucht bis zum Transport) gehen statt 18 Prozent sogar rund 50 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf das Konto von Viehzucht.

Foer selbst, der mit seinem Roman „Everything Is Illuminated“ berühmt wurde, widmete sich dem Vegetarismus oder unserer Lebensmittelindustrie überhaupt übrigens, als er Vater wurde. Zwar war er schon immer hin und wieder Vegetarier – ein Flexitarier, so nennt man Leute, die meist kein Fleisch, nur mal am Wochenende beim Grillen oder zu Weihnachten essen – aber richtig durchgezogen, da nie richtig damit befasst, hat er es nicht. Nun aber schmuggelt er sich zusammen mit Tierschützern nachts in Viehzuchtbetriebe und dokumentiert die grausamen Lebensverhältnisse von Hühnern und Schweinen, die zusammengepfercht auf engstem Raum ein schmerzvolles kurzes Dasein fristen. Hier geht es nicht nur um den Schutz von Tieren vor der Schlachtung. Sondern um die grausamen Methoden, die ihr „Leben“ und ihren Tod bestimmen. Und um die Ignoranz der Menschen dem gegenüber.

Die Massentierhaltung, die es seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts gibt, strebt danach, eine maximale Menge an Fleisch, Milch und Eiern so schnell und billig wie möglich zu produzieren, bei minimaler Platzanforderung. Laut Foer werden jedes Jahr weltweit rund 450 Milliarden Landtiere in Massenbetrieben gehalten. In den USA „leben“ 99 Prozent der Tiere, die dem Fleischkonsum oder der Milch- und Eierproduktion dienen, in Großbetrieben.

Das ist alles grob bekannt, aber der Respekt gegenüber Tieren hat am Konsum bisher nicht gross etwas geändert. Im Gegenteil: Fleisch ist zur billigen Massenware geworden. Der Konsum hat sich laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung in den letzten dreissig Jahren weltweit verdreifacht. In Deutschland ist ein Mensch im Schnitt mehr als 80 Kilogramm Fleisch pro Jahr. Wie der deutsche Vegetarierbund ausrechnet, könnten aber jährlich 157 Millionen Tiere vor der Schlachtbank gerettet werden, wenn jeder wöchentlich einen fleischfreien Tag einlegen würde. Die belgische Stadt Gent hat nun den Donnerstag dazu erklärt.

Foer prangert die Doppelmoral der Gesellschaft an: Die übertriebene Liebe zum Eisbären Knut im Berliner Zoo zum Beispiel, der völlig anthropomorphisiert wurde, gegenüber der Gleichgültigkeit gegenüber anderen Tiere. Dem gegenüber stellt er neue Ergebnisse über die Intelligenz, das Sozial- und Liebesverhalten von Tieren vor. Wichtig hierbei ist, dass er auch Fische nicht ausschliesst (was ja immer wieder eine ärgerliche Frage ist, ob man als Vegetarier denn etwa auch kein Fisch esse – Nein, um Himmels willen!). „Fish build complex nests, form monogamous relationships, hunt cooperatively with other species, and use tools“ (Foer, 2009, 65). Foer zitiert zusätzlich aus einem Journal „Fish and Fisheries“, wonach Fische gar machiavellistische Strategien verwendeten, um zu manipulieren, zu bestrafen und zu versöhnen.

„And chickens? There has been a revolution in scientific understanding here as well. Dr. Lesley Rogers, a prominent animal psychologist, discovered the lateralization of avian brains – the seperation of the brain into left and right hemispheres with different specialities (…) Rogers argues that our present knowlegde of bird brains has made it `clear that birds have cognitive capacities equivalent to those of mammals, even primates`“ (Foer, 2009, 65-66).

Foer hat übrigens Philosophie studiert. Mit seinem literarisch-essayistischen Plädoyer kämpft er mit empirischen Fakten, aber auch mit moralphilosophischen Überlegungen gegen eine Kultur der Grausamkeit und des Nichthinsehenwollens und steht damit in der Tradition eines anderen, sehr lesenswerten philosophischen Buchs: „The Life of Animals“ von J.M. Coetzee, das auch in der Philosophie für Repliken, u.a. von Stanley Cavell und Stephen Mulhall, gesorgt hat. Coetzee vergleicht in seiner herausragenden essayistischen Novelle die Massentierschlachtung mit dem Holocaust: „Rings um uns herrscht ein System der Entwürdigung, der Grausamkeit und des Tötens, das sich mit allem messen kann, wozu das Dritte Reich fähig war“, so die provokante Aussage von Coetzees bekannter Erzählerin Elisabeth Costello.

Dabei geht es in Coetzees Buch nicht darum, etwas zu relativieren. Sondern eine Analogie zwischen den Schlächtern und insbesondere den Wegsehern von damals und jenen von heute herzustellen. „In unseren Augen haben sie ihr Menschsein verloren, weil sie von bestimmten Dingen nichts wissen wollten.“ Nicht nur ihre moralischen Pflichten gegenüber anderen Lebewesen verletzen diese ignoranten Dulder des Grauens. Sondern ihre eigene Selbstachtung, ihre Verpflichtung gegenüber dem Menschsein in der eigenen Person, mit Kant gesprochen.

Wie Foers Anklage ist auch die von Coetzee ausgesprochen philosophisch informiert: Der heute 70-Jährige kennt die Debatten, weiss um die Begründungsversuche des Tierrechtlers Tom Regan. Er bringt den Ethiker Peter Singer ins Spiel, der den Antropozentrismus und Speziezismus anprangert – das heisst die willkürliche Höherstellung des Menschen beziehungsweise einer Spezies über die andere.

Diese Bücher sind lesenswert, jedes auf seine Art. Und die faktischen Hintergründe zur Tier- und Umweltethik sind bedenkenswert, für das eigene moralische Verhalten ebenso wie für die philosophischen Debatten.

Susanne Schmetkamp ist Assistentin am Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Universität Basel. Sie arbeitet außerdem als Kulturjournalistin für verschiedene Medien in Deutschland und in der Schweiz.


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