Lesenotiz: „Selbstbetrachtung aus der Ferne. Tocqueville, Weber und Adorno in den Vereinigten Staaten“ von Claus Offe

Ende letzten Jahres ist in Constellations ein Artikel von Claus Offe mit dem Titel „Governance: An Empty Signifier“ erschienen. Der Artikel an sich ist lesenswert, wenn auch nicht in Gänze überzeugend. Noch mehr hat mich aber gefreut, dass ich durch den Artikel auf ein schon 2004 erschienenes Buch von Claus Offe mit dem Titel „Selbstbetrachtung aus der Ferne. Tocqueville, Weber und Adorno in den Vereinigten Staaten“ aufmerksam geworden bin. Selbst vor kurzem aus den USA zurückgekehrt, habe ich das Buch direkt bestellt und gerade zu Ende gelesen.

Offe zeichnet nach, wie die drei Denker aus ihrer je eigenen Perspektive die USA wahrgenommen haben und welche Schlussfolgerungen sie aus diesem Bild für Europa gezogen haben. Interessant ist dabei der Vorschlag, die verschiedenen Zeitdiagnosen in vier Kategorien aufzuteilen:

„Diese Diagnosen können so konstruiert sein, daß Amerika in einem positiven Sinne Europa voraus ist (A1) oder sich in einem ebenfalls positiven Sinne Kräfte und Inspirationen aufbewahrt hat, die auf dem alten Kontinent bereits erschöpft und verschüttet sind (B1); des weiteren gibt es das Bild von Amerika als einer negativen Avantgarde, an der sich die schlechte Zukunft eines ‚amerikanisierten‘ Europa ablesen läßt (A2), sowie schließlich das negative Amerika-Bild eines rohen, noch unzivilisierten, kulturell und institutionell zurückgebliebenen Gesellschaftsgebildes, zu dem sich Europa im Selbstbewußtsein eigener und höherwertiger Traditionen in Kontrast setzen kann (B2).“ (121)

Die drei von ihm diskutierten Autoren verortet Offe innerhalb der ersten drei Kategorien. Erhellend sind dabei insbesondere die Ausführungen von Adorno, der zwischen einem undifferenziert negativen Bild Amerikas in den 1940er und einer fast ebenso überraschend positiven Wahrnehmung in der Nachkriegszeit changiert. Offe konstatiert hier „zwei sich gegenseitig dementierende Amerikabilder, die schlechterdings nicht zusammenpassen und von denen das eine ebensowenig wie das andere überzeugt“ (120).

Im Schlussteil lässt sich Offe zu einigen allgemeineren Ausführungen über Amerikas Rolle in der Welt hinreißen, die deutlich vom Irak-Krieg und der Bush-Regierung geprägt sind und insgesamt wenig überzeugen. Dessen ungeachtet ist das Buch insgesamt jedoch sehr zu empfehlen!

Offe, Claus 2004: Selbstbetrachtung aus der Ferne: Tocqueville, Weber und Adorno in den Vereinigten Staaten, Frankfurt/Main: Suhrkamp.

2 Kommentare zu “Lesenotiz: „Selbstbetrachtung aus der Ferne. Tocqueville, Weber und Adorno in den Vereinigten Staaten“ von Claus Offe

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert